Die Rohkaffeepreise sind gestiegen – ist jetzt alles gut?

Lorenza Nicolas und ihr Sohn Lucio Calix, Kaffeebäuerin der Kooperative Combrifol, Marcla, Honduras

Lorenza Nicolas und ihr Sohn Lucio Calix, Kaffeebäuerin der Kooperative Combrifol, Marcla, Honduras I Bild: Jörg Pfeiffer

Jonas Lorenz
Autor
Jonas Lorenz
Referent für Grundsatzfragen des Fairen Handels, Forum Fairer Handel

Der Börsenpreis für Arabica-Kaffee befindet sich auf einem Zehn-Jahres-Hoch. Große deutsche Kaffeeanbieter wie Tchibo haben ihre Preise um bis zu 1,30 € pro Pfund angehoben. Das Kaffeetrinken in Deutschland wird also teurer. Doch was bedeutet dies für Produzent*innen, Kooperativen und den Fairen Handel?

In den vergangenen Jahren, insbesondere in der Preiskrise 2018/19, wurde viel über die verheerenden Auswirkungen niedriger Weltmarktpreise auf die Produzent*innen berichtet. Zum Tiefpunkt der Preiskrise, insbesondere 2018 und 2019, war der Weltmarktpreis für Arabica-Kaffee, der sogenannte New York C-Preis, unter die Marke von 1,00 US-Dollar pro amerikanischem Pfund (libra/lbs) gesunken. Mindestens 60 % der weltweiten Kaffeebäuer*innen konnten damit nicht mehr ihre Produktionskosten decken, geschweige denn Geld verdienen. Es häuften sich Berichte über Mangelernährung, Migration (bis in die USA) und sogar über Bäuer*innen, die anfingen Koka statt Kaffee anzubauen. Im Juli 2021 ist der C-Preis erstmals seit fast 10 Jahren wieder über zwei US-Dollar pro amerikanischem Pfund (libra/lbs) gestiegen, hält sich dort stabil und ist zwischenzeitlich sogar über 2,50 USD/lbs geklettert.

Warum ist der Weltmarktpreis eigentlich so stark gestiegen?

Die gängige Erklärung ist, dass der Preisanstieg auf eine Kombination aus ungünstigen Wetterbedingungen in Brasilien (Frost und Dürre infolge des Klimawandels), erheblich höheren Transportkosten für die Seefracht infolge der Corona-Pandemie und Spekulation auf dem Terminmarkt zurückzuführen ist. Ein Blick in die Historie (siehe Grafik) zeigt, dass insbesondere Wetterereignisse im größten Anbauland Brasilien einen starken Einfluss auf den Weltmarktpreis haben und dann in ihren Ausschlägen durch Spekulation verstärkt werden.

Ist jetzt alles gut? Was bedeutet der Kaffeepreis für die Produzent*innen und den Fairen Handel?

Um den Fragen rund um den Preisanstieg und die Auswirkungen auf Produzent*innen und Fairen Handel auf den Grund zu gehen, habe ich mich mit Anne Löwisch, Geschäftsführerin der MITKA (Mittelamerika Kaffee Im- und Export GmbH) unterhalten, die fair gehandelten Kaffee für neun Organisationen importiert, darunter die FFH-Mitglieder El Puente und WeltPartner eG. Anne Löwisch hat von ihren Erfahrungen mit Kaffee-Kooperativen in Nicaragua sowie von einer Reise zum Handelspartner Red Ecolsierra in Kolumbien und den Auswirkungen der Hochpreisphase vor Ort berichtet.

Gut für Produzent*innen…

Grundsätzlich lässt sich feststellen: Hohe Weltmarktpreise zeigen vor Ort Wirkung und kommen bei den Produzent*innen an. Zwar herrsche bei den Kaffeebäuer*innen in Kolumbien keine „Bonanza“, also „Goldgräberstimmung“, da die Ernte nicht so üppig ausgefallen ist. Aber – so ließen sich die Produzent*innen auf Nachfrage entlocken – die Preise seien schon sehr gut. Während eine schlechte Ernte in anderen Jahren ein großes Risiko für Produzent*innen bedeutete, gleicht der hohe Weltmarktpreis dies zurzeit aus und der Kooperative Red Ecolsierra ist es sogar gelungen, Geld zurückzulegen, um die Arbeiten an der Folgeernte zu beginnen, ohne Kredite aufnehmen zu müssen, so Löwisch.

Mit Weltmarktpreisen von über 2,00 USD/lbs ließen sich die durchschnittlichen Produktionskosten in Mittelamerika decken und der Anbau lohne sich für die Produzent*innen, schätzt Löwisch.1 Dennoch – und das geben auch Produzent*innen sofort zu bedenken – steigen infolge von Inflation, aber auch COVID-Pandemie und Ukraine-Krieg die Kosten für Lebensmittel, Verarbeitung, Transport und Düngemittel, was einen beträchtlichen Teil der Mehreinnahmen auffrisst.

… gefährlich für Kooperativen

Für Kaffeekooperativen stellt sich die Situation in Hochpreisphasen ungleich komplizierter dar. Dafür ist ein genauerer Einblick in den Kaffeehandel nötig:

Kaffeekooperativen schätzen vor einer Erntesaison (z. B. während der Bio-Inspektion) gemeinsam mit ihren Mitgliedern die Erntemenge und vereinbaren dann, welchen Anteil der Ernte sie abnehmen.2 Auf dieser Basis machen die Kooperativen ihre Verträge mit Importeuren sowohl im Fairen als auch im konventionellen Handel. Häufig kaufen Kooperativen (auch im Fairen Handel) den Kaffee während der Erntezeit Sack für Sack zunächst zu ortsüblichen Marktpreisen bei ihren Mitgliedern ein. Bäuer*innen sind häufig auf einen direkten Verkauf des Kaffees angewiesen, um z. B. Erntehelfer*innen bezahlen zu können. In der Kooperative wird der Kaffee dann für den Export aufbereitet (sog. „dry milling“) und sortiert, in großen Containern konsolidiert und in die ganze Welt verschifft. Kooperativen erhalten die Bezahlung für den Kaffee jedoch erst nach Verschiffung, es sei denn, Fair-Handels-Organisationen leisten Vorfinanzierung. Jenseits des Fairen Handels ist dies jedoch absolut nicht üblich! Am Ende der Erntesaison, nachdem Kooperativen alle Einnahmen und Kosten berechnen konnten, zahlen sie ihren Mitgliedern den zweiten Teil der Bezahlung für den Kaffee aus, das sogenannte „Ajuste“ (spanisch für „Anpassung“) oder „Second Payment“.

Während der Erntesaison müssen die Kooperativen jedoch mit lokalen Zwischenhändlern (sogenannten „Coyotes“) konkurrieren, die ebenfalls Kaffee einkaufen und Produzent*innen ggf. höhere Preise (den zweiten Teil der Bezahlung nicht eingerechnet) zahlen, jedoch auch niedrigere Qualitätsansprüche haben. In Phasen niedriger Weltmarktpreise stellt dies kein Problem dar, weil ein Fair-Handels-Preis (mindestens 1,60 USD/lbs + Prämien bei der MITKA) für Produzent*innen einen substanziellen Aufschlag darstellt. In Hochpreisphasen, in denen der Weltmarktpreis über den Mindestpreisen des Fairen Handels3 liegt und die Unterschiede geringer werden, können ein Verkauf an „Coyotes“ und „schnelles Geld direkt auf die Hand“ durchaus verlockend sein, vor allem nach Jahren am Existenzminimum.4 Oder wie Anne Löwisch es ausdrückt: „…da schwitzen die Geschäftsführer*innen schon sehr“. Denn schließlich sind sie es, die den Kaffee exportieren, Verträge einhalten müssen und auf den Kaffee der Mitglieder angewiesen sind. Entsprechend gibt es auch immer wieder Berichte, dass insbesondere junge oder instabile Kooperativen in Hochpreisphasen zerbrechen.

Dennoch sind Hochpreisphasen nicht nur Risiko, sondern auch Chance für Kooperativen. Wenn es gelingt, die Mitglieder „bei der Stange“ zu halten, bieten Überschüsse die Möglichkeit, eine Kooperative zu kapitalisieren oder beispielsweise Infrastrukturprojekte (z. B. zur Steigerung der Kaffeequalität) umzusetzen oder Anpassungen an den Klimawandel vorzunehmen.

Auswirkungen auf den Fairen Handel

Preise, die die Produktionskosten decken und ein existenzsicherndes Einkommen ermöglichen, sind Ziel und „Raison d’Être“ des Fairen Handel. Nichtsdestotrotz stellen Hochpreisphasen Fair-Handels-Unternehmen vor Herausforderungen. Denn nicht nur Tchibo, sondern auch der Faire Handel musste die Preise anpassen, um den hohen Weltmarktpreisen gerecht zu werden. Es darf ja nicht vergessen werden: Steigt der Weltmarktpreis über vereinbarte Mindestpreise, geht der Faire Handel die Anpassungen nicht nur mit, sondern zahlt auch weiterhin die Fair-Handels-Prämie, in aller Regel eine Bio-Prämie, ggf. Aufschläge für gute Qualitäten und im Fall der MITKA zusätzlich eine Kooperativen-Prämie.

Entsprechend zeigt sich Anne Löwisch durchaus ein wenig besorgt, dass durch den derzeitigen Weltmarktpreis (und dessen kurzfristige Fluktuation) sowie die (für deutsche Verhältnisse) hohe Inflation ein Momentum erreicht sein könnte, wo es zu Umsatzeinbußen bei fair gehandeltem Kaffee kommen könnte, da dieser für Verbraucher*innen zu teuer werden könnte. Deshalb bleibt uns nur der Appell an alle Kundin*innen: Die Kaffeepreise sind nicht zu hoch, sondern nur so hoch, dass sie Produzent*innen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und der Faire Handel ist auf Ihre und eure Unterstützung angewiesen!

Ausblick

Zum Abschluss unseres Gesprächs habe ich Anne Löwisch die „Preisfrage“ gestellt: „Wie lang bleibt der Weltmarktpreis auf einem Niveau, bei dem Produzent*innen am Ende des Tages noch etwas übrig bleibt?“ Natürlich lässt sich diese Frage nicht seriös beantworten. Ihre Vermutung und ihr Bauchgefühl ist, dass der C-Preis noch mindestens ein Jahr über dem Fairtrade-Min-Preis von 1,40USD/lbs verbleibt. Dafür spricht, dass sich die Kaffeebestände großer Händler und Röster auf einem historischen Tiefstand befinden.

Den Produzent*innen wäre es zu wünschen! Denn nach vielen schweren Jahren wäre eine „Bonanza“ mehr als angemessen.

Leider zeigt ein Blick auf die Preisentwicklung der letzten Jahrzehnte, dass auf wenige gute Jahre auch immer wieder lange schwierige Phasen folgen.  Langfristig, das zeigt die Studie „Kaffee: Eine Erfolgsgeschichte verdeckt die Krise“, die das Forum Fairer Handel 2018 übersetzt und für den deutschen Markt eigeordnet hat, ist der Kaffeemarkt hochgradig ungerecht. Die Einnahmen in den Produktionsländern sind zwischen 1994 und 2017 um zehn Prozent gesunken. Dagegen ist die Wertschöpfung bei Röstern und Händlern in Deutschland im gleichen Zeitraum um 139 %, von 1,52 Milliarden Euro auf 3,63 Milliarden Euro pro Jahr, gestiegen.

Deshalb brauchen wir dringend flächendeckende existenzsichernde Preise und politische Maßnahmen, die unlautere Handelspraktiken verbieten und Produzent*innen einen angemessenen Anteil an der Wertschöpfung mit Kaffee garantieren.

 

 


1 Zum Thema existenzsichernde Einkommen im kolumbianischen Kaffeesektor sind in den letzten Jahren verschiedene Studien herausgekommen, die Produktionskosten und existenzsichernde Einkommen unter verschiedenen Szenarien berechnet haben. U. a.: „Verified Living Income White Paper“ von Bellwether Coffee, Sustainable  Harvest und Heifer International sowie Living Income Reference Price Berechnungen von Fairtrade.

In der Regel ist dies die gesamte Ernte, aber manche Kooperativen agieren lieber etwas vorsichtiger, um z.B. im Falle einer schlechteren Ernte (als erwartet) nicht mehr Kaffee verkauft zu haben, als sie liefern können.

3 Liegt der Weltmarktpreis oberhalb des Fairtrade Mindestpreis von 1,40USD/lbs, muss mindestens der Weltmarktpreis sowie die Fairtrade Prämie von 0,20USD/lbs und ggf. eine Bio-Prämie von 0,30USD/lbs gezahlt werden.

4 Wer nun dazu neigt, vorschnell über die „Kurzsichtigkeit“ von Kaffeeproduzent*innen zu urteilen, sollte einen Blick in Karl Wienholds Buch „Cheap Coffee: Behind the Curtain of Global Coffee Trade“ werfen und sich genauestens über die Situation von Produzent*innen informieren, bevor er/sie diesem Impuls nachgibt.

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