Am 05.07.2024 hat der Deutsche Bundestag einem Gesetz zur Änderung des so genannten Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes (AgrarOLkG) zugestimmt. Dies ist erfreulich, da das AgrarOLkG, welches dem Schutz von Produzent*innen und Lieferanten vor unlauteren Handelspraktiken dient, erhebliche Schwächen aufweist. Doch gehen die nun beschlossenen Maßnahmen nicht weit genug.
Machtmissbrauch – Warum es das AgrarOLkG braucht
Das AgrarOLkG verbietet seit 2021 die gravierendsten unlauteren Handelspraktiken von Unternehmen gegenüber ihren Lieferanten in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette innerhalb wie außerhalb Deutschlands. Unter den zehn stets verbotenen unlauteren Praktiken sind etwa verspätete Zahlungen oder nachträgliche, einseitige Änderungen des Vertrages. Das Gesetz, welches die EU-Richtlinie 2019/633 über unlautere Handelspraktiken (UTP-Richtlinie) umsetzt, ist notwendig, da zwischen den Akteur*innen in vielen Agrar- und Lebensmittellieferketten große Macht- und damit Verhandlungsungleichgewichte bestehen. In Deutschland kontrollieren etwa vier Einzelhandelsunternehmen 85 Prozent des Lebensmittelmarktes. Auch auf den anderen Stufen der Lieferketten stehen Produzent*innen häufig nur wenigen Konzernen gegenüber, wie bspw. im Kaffeebereich, wo nur wenige Kaffeehändler und Röstereien große Teile des Marktes kontrollieren. Viele Unternehmen können aufgrund größerer Verhandlungsmacht ihren Lieferanten Vertragskonditionen aufzwingen.
Schutzlücken – Warum das AgrarOLkG verschärft werden muss
Mit Blick auf diese Machtungleichgewichte hat das AgrarOLkG das Potential, Produzent*innen vor Machtmissbrauch zu schützen. Doch das Gesetz weist erhebliche Schutzlücken auf. Dies hatten wir bereits bei seiner Verabschiedung 2021 kritisiert. Auch der 2023 erstellte Evaluierungsbericht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zeigt, dass das Gesetz für den Schutz von Produzent*innen unzureichend ist: Rund 50 Prozent der befragten Lieferant*innen von Lebensmitteln und Agrarerzeugnissen geben an, weiterhin von unfairen Handelspraktiken betroffen zu sein und bewerten die Verbote im AgrarOLkG als nicht weitgehend genug. Entsprechend ist es gut, dass der Bundestag nun Änderungen an dem Gesetz beschlossen hat.
Insgesamt gibt es in dem Änderungsgesetz einige positive Ansätze, welche auf den Schutzbedarf von Lieferanten eingehen, doch reichen die beschlossenen Maßnahmen bei weitem nicht aus, um die Verhandlungsposition von Produzent*innen insbesondere im Globalen Süden so zu verbessern, dass sie sich gegen jegliche unlautere Handelspraktiken und unfaire Preise zur Wehr setzen können. Generell wurde es verpasst, das Gesetz auch stärker auf Produzent*innen im Globalen Süden auszurichten.
Was aus unserer Sicht bei den jetzigen Änderungen zu begrüßen ist:
Besonders positiv ist die Einführung eines so genannten Umgehungsverbotes. Dieses verbietet es Unternehmen, bereits bestehende Verbote durch andere Maßnahmen zu umgehen. Dies ist notwendig, da es für mächtige Unternehmen keine Schwierigkeit ist, die erwünschte Wirkung durch andere unlautere Handelspraktiken zu erzielen. Mit dem Umgehungsverbot sind die im Gesetz verankerten Verbote gegen derartige Praktiken stärker geschützt. Zudem wirkt es auch der bisher sehr engen Auslegung der Verbote durch die zuständige Umsetzungsbehörde, der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (BLE), entgegen. Fragen etwa darüber, ob das Verbot des „Zurückschickens nicht verkaufter Ware“ tatsächlich nur ein Zurückschicken im wortwörtlichen Sinne und nicht auch eine Aufforderung zum Abholen der Ware umfasst, sind damit hinfällig.
Aus unserer Sicht fehlt …
… eine Generalklausel: Auch wenn das Umgehungsverbot positiv ist, bezieht es sich doch nur auf die bereits im Gesetz verankerten Verbote. Mit Blick darauf, dass Unternehmen auch mit anderen Praktiken Vorteile gegenüber ihren Lieferanten erzwingen können, ist eine abgeschlossene Verbotsliste nicht ausreichend. Für einen umfassenden Schutz bräuchte es eine Generalklausel, welche jedwede unlautere Handelspraktik verbietet. Im Kartellrecht wird seit langem mit einer Generalklausel gearbeitet. Laut dem Kartellrechtsexperten Dr. Kim Künstner gibt es keinen Grund, warum dies bei unlauteren Handelspraktiken nicht auch der Fall sein sollte (Minute 55:50 der öffentlichen Anhörung des Agrarausschusses am 01.7.2024).
… ein Gebot kostendeckender Preise entlang der gesamten Lebensmittelkette: Das Thema zu niedriger Erzeugerpreise, welche häufig nicht einmal die Produktionskosten decken und für Produzent*innen weltweit an die Existenz gehen, wurde weiterhin im Gesetz nicht adressiert. Dabei hatten in der oben bereits erwähnten Befragung für den Evaluierungsbericht des BMEL 46 % der Befragten angegeben, dass sie von einer Preisbildung zulasten des Lieferanten betroffen seien. Mit einem Gebot kostendeckender Preise würde der Preis eines Produktes auf den Erzeugerkosten aufbauen, was den Preisdruck von oben nach unten in der Lieferkette einhegen würde. In Verträgen müssten künftig folgende Aspekte verbindlich vereinbart sein: Menge, Preis, Qualität (z.B. Weidehaltung), Laufzeit und Zahlungsziel. Eine solche Vertragsgestaltung würde Überproduktion und Lebensmittelverschwendung verringern, weil nur die Mengen erzeugt werden, die zu kostendeckenden Preisen weiterverkauft werden können.
Das BMEL lehnt eine solche Maßnahme mit Verweis auf eine negative Bewertung ähnlicher Regelungen in Spanien, Frankreich und Italien durch das Thünen-Institut ab. Dabei gibt es Anzeichen, dass diese Bewertung zu früh erfolgte. Es braucht Zeit, bis derartige Gesetze Wirkungen entfalten. Mittlerweile zeigen sich erste positive Effekte in Spanien und Frankreich.
… eine Ombudsstelle mit Befugnissen für Preis-, Kosten- und Margenbeobachtung: Bei dieser Stelle sollten sich Produzent*innen, auch außerhalb der EU, über jegliche unlautere Handelspraktiken anonym beschweren können. Angesichts großer Abhängigkeiten von einigen wenigen Abnehmern ist davon auszugehen, dass Lieferanten vor Beschwerden aus Angst zurückscheuen. Die Tatsache, dass bisher nur wenige Beschwerdefälle bei der BLE eingegangen sind – im Jahr 2023 lediglich elf, davon keine aus Drittstaaten – legt den Schluss nahe, dass es unter anderem an einer niedrigschwelligen Anlaufstelle für Lieferanten fehlt. Erfahrungen mit dem so genannten Fairnessbüro aus Österreich zeigen, dass niedrigschwellige anonyme Angebote die Angst der Betroffenen vor Beschwerden nehmen.
Die Ombudsstelle sollte zudem Erzeugerpreise und Margen in der Lebensmittelkette monitoren, um mehr Transparenz bei der Preisgestaltung zu schaffen. Eine derartige Stelle war im Entschließungsantrag des letzten Bundestags bereits vorgesehen, wurde aber bisher noch nicht umgesetzt.
… eine Klarstellung des Anwendungsbereichs für Produzent*innen und Lieferanten außerhalb der EU: Das AgrarOLkG gilt in Anlehnung an die UTP-Richtlinie explizit auch für Produzent*innen außerhalb von Deutschland. Jedoch muss zumindest eine der am Vertrag beteiligten Parteien ihren Sitz in Deutschland haben. Bei Kleinbäuer*innen aus dem Globalen Süden dürfte dies häufig nicht der Fall sein, da deren direkte Vertragspartner häufig Unternehmen oder Organisationen vor Ort sind. Da der Kostendruck von unlauteren Handelspraktiken jedoch häufig von oben entlang der Kette weitergegeben wird, sollte geprüft werden, ob eine Verantwortlichkeit entlang der gesamten Kette durchgesetzt werden kann, ähnlich wie dies auch bei den menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten vorgesehen ist. Mindestens sollte bei multinationalen Konzernen eine Umgehung des Gesetztes durch Zwischenschaltung von Einkaufsgesellschaften außerhalb Deutschlands verhindert werden. Dies könnte durch eine Klarstellung geschehen, dass das Gesetz zur Geltung kommt, wenn beim Kauf von Produzent*innen außerhalb Deutschlands deutlich ist, dass die gekaufte Ware bestimmungsgemäß nach Deutschland verbracht werden soll.
Was jetzt getan werden muss:
- Eine bessere Durchsetzung der Rechte von Produzent*innen und Lieferanten insbesondere auch außerhalb der EU: Die bisher im Vergleich zu anderen EU-Ländern niedrige Zahl an Beschwerden gegen unlautere Handelspraktiken zeugt nicht davon, dass es keinen Bedarf gäbe, sondern dass das Gesetz nicht ausreichend durchgesetzt wird. Neben einem wie oben beschrieben niedrigschwelligen Beschwerdeverfahren müssten Produzent*innen und Lieferanten stärker über ihre Rechte aufgeklärt werden. Insbesondere außerhalb der EU ist das AgrarOLkG kaum bis gar nicht bekannt. Dies sollte in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geändert werden. Zwar verfügt die BLE über eine englische Webseite, doch ist das Beschwerdeverfahren für nicht Deutsch sprechende Menschen nur schwer zu finden. Neben Englisch bräuchte es zudem mindestens noch eine leicht zu findende Beschwerdemöglichkeit in Spanisch. Gleichzeitig scheint die BLE keine ausreichenden Kapazitäten zu haben, um das AgrarOLkG gut umsetzen zu können. So schreibt die BLE in ihrem Tätigkeitsbericht für das Jahr 2023, dass sie noch nicht allen Beschwerden und Hinweisen über unlautere Handelspraktiken nachgehen konnte. Entsprechend sollte das Personal der BLE für die Durchsetzung des AgrarOLkG aufgestockt werden.
- Lösungsansätze für niedrige Erzeugerpreise: Nicht nur die vom BMEL durchgeführte Befragung von Produzent*innen und Lieferanten bestätigt den Bedarf an Lösungsansätzen für die Problematik niedriger Erzeugerpreise. Das Ziel der UTP-Richtlinie ist es, negative Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken auf den Lebensstandard von Produzent*innen einzudämmen. Für einen besseren Lebensstandard ist es unausweichlich, unlautere Praktiken in den Preisverhandlungen, anzugehen. Mit Blick darauf, dass, wie oben erläutert, die Beurteilung der weitergehenden Regelungen in Spanien und Frankreich zu früh erfolgte, sollten sich die Effekte dieser Gesetze zu einem späteren Zeitraum nochmals angeschaut werden.
- Einsatz für eine ambitionierte Änderung der UTP-Richtlinie: Derzeit steht die Evaluierung der UTP-Richtlinie auf EU-Ebene an. Eine Änderung dieser Richtlinie würde sich direkt auf das AgrarOLkG auswirken, da das Gesetz die Richtlinie umsetzt. Hier besteht somit die Chance für EU-Abgeordnete sowie für die alte und ab nächstem Jahr die neue Bundesregierung die bestehenden Schutzlücken für Produzent*innen innerhalb und außerhalb der EU zu schließen.
- Einbeziehung von Produzent*innen außerhalb der EU bei der nächsten Evaluierung: Obwohl das AgrarOLkG auch für Produzent*innen außerhalb Deutschlands gilt, hat das BMEL diese in ihrer Evaluierung nicht berücksichtigt. So wurde etwa die erwähnte Befragung von Produzent*innen und Lieferanten lediglich auf Deutsch durchgeführt. Dies zeugt davon, dass das BMEL bei der Umsetzung des AgrarOLkG globalen Lieferketten weniger Aufmerksamkeit beimisst. Dies ist hinsichtlich des Anwendungsbereiches des Gesetzes nicht angemessen und ist insbesondere mit Blick darauf, dass das Gesetz ein großes entwicklungspolitisches Potential hat, bedauerlich. Sowohl bei der nun anstehenden Evaluierung der UTP-Richtlinie sowie bei der erfreulicherweise in drei Jahren vorgesehenen erneuten Evaluierung des AgrarOLkG müssen Produzent*innen und Lieferanten auch außerhalb der EU wirksam einbezogen werden. Zur Stärkung der globalen Komponente des Gesetzes sollte in Deutschland das BMZ bei der Evaluierung des AgrarOLkG beteiligt werden. Zudem sollte das Gesetz auch dahingehend bewertet werden, wie es auf das Ziel der UTP-Richtlinie wirkt.