"Omnibus-Verfahren" bedroht Nachhaltigkeitsgesetze

Foto: stephanhartmann/Getty Images

Autor
Robert Diendorfer
Referent für Unternehmensverantwortung und Sorgfaltspflichten

Was ist das “Omnibus-Verfahren”?

Am 08. November 2024 kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erstmalig das sogenannte “Omnibus-Verfahren” an. Unter “Omnibus” versteht man in der EU-Gesetzgebung eine Gesetzesinitiative, die Änderungen in mehreren Bereichen oder an verschiedenen bestehenden Regelwerken gleichzeitig einführt. Laut EU-Kommission ist das Ziel des aktuellen Omnibus-Verfahrens einerseits die Überprüfung mehrerer Nachhaltigkeitsgesetze hinsichtlich ihres administrativen Aufwands und andererseits die Vereinheitlichung überlappender Berichtspflichten für Unternehmen. Als Rechtfertigung für den Start des Omnibus-Prozesses bezieht sich die Kommission auf ein Statement zur Vereinfachung von Berichtspflichten aus 2023 sowie auf die sogenannte „Budapest Deklaration“, die beide eine substanzielle Reduktion des administrativen Aufwands für Unternehmen um 25 % ab 2025 vorsehen. Die EU-Kommission kommt mit dem Omnibus-Verfahren den Forderungen von Unternehmen und deren Interessensverbänden entgegen, die einen Abbau von scheinbar überbordender Bürokratie einfordern. Drei maßgebliche Nachhaltigkeitsgesetze sind vom Omnibus-Verfahren betroffen: das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD), die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die EU-Taxonomie (eine Verordnung, um nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten innerhalb der EU zu klassifizieren). Alle drei Gesetze gelten als Meilensteine, um Unternehmen zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten im Rahmen ihrer internationalen Geschäftstätigkeit zu verpflichten. 

Intransparente Black Box

Seit der Ankündigung im November 2024 sind kaum offizielle Informationen über Art und Umfang der geplanten Gesetzesanpassungen nach außen gedrungen. Lediglich die vom Omnibus-Verfahren umfassten Gesetze sind bislang bekannt (siehe oben). Die spärlichen Informationen, die verfügbar sind, deuten leider zunehmend auf noch radikalere und umfassendere Anpassungen hin als ursprünglich angedacht. Noch im November 2024 versicherte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Inhalte der drei Nachhaltigkeitsgesetze seien “gut” und bedürfen keiner Änderung. Der Fokus des Omnibus-Verfahrens solle auf der Vereinheitlichung überlappender Berichtspflichten liegen, nicht aber auf einer Neuverhandlung inhaltlicher Aspekte. EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis relativierte allerdings wenig später bereits, dass es kein Omnibus-Verfahren brauche, würde man nicht auch die Gesetzestexte adaptieren. Seit der erstmaligen Ankündigung entwickelte sich das Omnibus-Verfahren immer mehr zu einer Black Box, deren Inhalt und Ausgestaltung völlig unklar sind. Erst im kürzlich veröffentlichen EU-Wettbewerbskompass (ein Strategiepapier zur Ausrichtung der EU-Wettbewerbspolitik) kam es zu einer erneuten Erwähnung des Omnibus-Verfahrens. Darin listet die EU-Kommission das Omnibus-Verfahren als Maßnahme zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU, jedoch erneut ohne substanzielle Informationen bereitzustellen. Es wird lediglich von “weitreichenden Vereinfachungen” der Nachhaltigkeitspflichten und einem “beispiellosen” Abbau von Bürokratie für Unternehmen gesprochen. Das steht in deutlichem Widerspruch zu früheren Aussagen und skizziert Ambitionen, noch umfassendere Änderungen an den drei Nachhaltigkeitsgesetzen vorzunehmen, die weit über eine Adaptierung überlappender Berichtspflichten hinausgehen. Vieles deutet darauf hin, dass die Sorgfaltspflichten von Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechtsstandards und Umweltschutzauflagen durch das Omnibus-Verfahren wieder eingeschränkt werden sollen. Dabei werden die Argumente der Wettbewerbsfähigkeit und des Bürokratieabbaus vorgeschoben, die derartige Anpassungen notwendig machen würden.

Intransparenter Konsultationsprozess

Auch der Konsultationsprozess mit Unternehmen, Verbänden, Zivilgesellschaft und Wissenschaft stellt sich als hochgradig intransparent dar. Bislang fanden im Zuge des Omnibus-Verfahrens nur zwei Konsultationen mit Vertreter*innen aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft statt, an denen jedoch nur handverlesen und auf Einladung der Kommission teilgenommen werden durfte. Dabei lagen Unternehmen aus der Automobil-, Öl-, Finanz- und Versicherungsbranche weit in der Überzahl, verglichen mit den wenigen NGOs, die die Sichtweise benachteiligter Gruppen und Stimmen aus der Zivilgesellschaft einbringen konnten. Eine umfassende, öffentliche Konsultation fand nicht statt, womit die Kommission ihre selbst definierten „Better Regulation Guidelines“ missachtet. Diese sehen eine “breite und transparente Konsultation” vor. Es entsteht der Eindruck, dass die Verhandlungen rund um das Omnibus-Verfahren hinter verschlossenen Türen und nur unter Einbezug einiger weniger Unternehmen und Wirtschaftsverbände stattfinden.

Erheblicher Widerstand gegen Omnibus

Die außerordentliche Intransparenz des gesamten Omnibus-Verfahrens, die sich abzeichnenden inhaltlichen Abänderungen der Nachhaltigkeitsgesetze und der fehlende Miteinbezug relevanter Interessensgruppen lösen erhebliche Unsicherheiten und Unmut aus. Einige Unternehmen, die von den Gesetzesänderungen profitieren sollen, äußern zunehmend Bedenken und stellen sich gegen das geplante Omnibus-Verfahren und die Neuverhandlung existierender Nachhaltigkeitsgesetze. Beispielsweise fordern mehrere Großkonzerne das Festhalten an bestehenden Reportingpflichten. Zudem warnt ein Zusammenschluss aus 160 Investor*innen vor Anpassungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Ebenso äußern über 150 Expert*innen aus Wirtschaft und Wissenschaft ihre Bedenken hinsichtlich des Omnibus-Verfahrens. Auch in der Zivilgesellschaft mehrt sich Widerstand, wie ein gemeinsames Statement von über 160 Organisationen verdeutlicht, dem sich auch das Forum Fairer Handel anschloss. Betroffene im Globalen Süden stellen sich ebenfalls gegen die mit dem Omnibus-Verfahren verbundenen Aufweichungen von unternehmerischen Sorgfaltspflichten.

Vereinfachung oder Deregulierung?

Das aktuelle Omnibus-Verfahren verdeutlicht die Fragilität der bisherigen Erfolge von Initiativen aus Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft, die sich jahrelang für verbindliche Regeln zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten eingesetzt haben. Zudem veranschaulicht das Verfahren den Druck, dem Nachhaltigkeitsgesetze immer wieder und immer noch ausgesetzt sind. Aktuelle Debatten über die scheinbar sinkende Wettbewerbsfähigkeit, den überfälligen Bürokratieabbau oder einer Überregulierung werden instrumentalisiert, um Meilensteine der Nachhaltigkeitsgesetzgebung zu unterminieren und sie für eine Neuverhandlung zu öffnen. Auch in Deutschland wird bereits lautstark die komplette Abschaffung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes gefordert, wie aktuelle Gesetzesentwürfe der CDU/CSU und FDP verdeutlichen. Welche Gefahren eine Wiedereröffnung bestehender Regulierungen birgt, konnte bei der EU-Entwaldungsverordnung beobachtet werden. Nachdem die EU-Kommission eine Verlängerung des Umsetzungszeitraums um zwölf Monate vorschlug, kam es umgehend zu einer Vielzahl weiterer, inhaltlicher Abänderungsanträge, die nur durch massiven Protest und in letzter Minute verhindert werden konnten. Bürokratieabbau darf nicht als Vorwand genutzt werden, um unliebsame Nachhaltigkeitsstandards wieder komplett abzuschaffen oder in Art und Umfang drastisch einzuschränken. Das gefährdet bestehende Standards zur Wahrung von Menschenrechten, Umweltschutz, Transparenz und Rückverfolgbarkeit in internationalen Lieferketten. 

Durch die Stilisierung von Nachhaltigkeitsgesetzen als Bürokratie und Überregulierung – wie dies auch im Zuge des Omnibus-Verfahrens passiert – werden Sorgfaltspflichten als reiner Berichts- und Dokumentationsaufwand abgetan, der abgebaut werden muss. Dabei blendet man jene aus, denen die Gesetze und deren Schutzmechanismen zugutekommen sollen: Menschen ohne Stimme, Macht und Sichtbarkeit in globalen Wertschöpfungsketten, die gegenüber Menschenrechtsverletzungen besonders exponiert sind. Bezahlt wird der Preis reduzierter Sorgfaltspflichten ebenso von unserem Naturraum und Klima, deren Schutz durch derartige Initiativen weiter hinausgezögert und verwässert wird. Viele Unternehmen haben sich bereits auf den Weg gemacht, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihre Unternehmenspraxis zu integrieren. Dies betrifft nicht nur Fair-Handels-Unternehmen, für die dies schon lange zur Normalität zählt, sondern eine Vielzahl weiterer Unternehmen, die sich vom deutschen und dem europäischen Lieferkettengesetz ein Level-Playing-Field erhoffen. Wir stellen uns klar gegen jegliche Form der Abschwächung von Nachhaltigkeitsgesetzen und fordern die zukünftige Bundesregierung auf, sich gegen Deregulierung und Verwässerung zu stellen und sich auf nationaler und europäischer Ebene für eine ambitionierte Umsetzung von Nachhaltigkeitsregulierungen einzusetzen. 

Am 26. Februar 2025 stellt die EU-Kommission die geplanten Änderungen durch das Omnibus-Verfahren der Öffentlichkeit vor. Es droht ein Szenario, in dem jahrelange Ambitionen zur Verpflichtung von Unternehmen zu Nichte gemacht werden. Es bleibt zu hoffen, dass es dazu nicht kommen wird.

 

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