Koloniale Spuren im Fairen Handel?

Autorin
Silke Bölts
Referentin für Klimapolitik und Fairen Handel

Koloniale Spuren im Fairen Handel? Diese müssen bearbeitet werden. Erste Beispiele zeigen: Es ist möglich, einen Anfang zu machen. Es gibt viele Möglichkeiten, das Thema zu bearbeiten: auf individueller, organisatorischer oder systemischer Ebene. Gemeinsam lernen wir dazu und werden dabei auch Fehler machen. Aber es ist wichtig, uns mit diesem Thema zu beschäftigen.

Anfang Dezember fand ein Arbeitstreffen des Forum Fairer Handel, seiner Mitglieder und Kooperationspartner zum Thema “Koloniale Kontinuitäten im Fairen Handel überwinden” in Berlin statt. Gemeinsam wurde überlegt, diskutiert und zugehört – das Problem ist bekannt. Die Frage, die sich stellte: Was wollen wir gemeinsam verändern, um kolonialen Spuren im Fairen Handel zu begegnen? 

Grundlage des Arbeitstreffens war die aktuell vom Forum Fairer Handel herausgegebene Kurzpublikation “Koloniale Kontinuitäten im Fairen Handel überwinden”. Sie dient als Arbeitsheft und als praxisnaher Einstieg, um aktiv gegen neokoloniale Strukturen im Fairen Handel vorzugehen.

Die Folgen des Kolonialismus sind bis heute spürbar

Kim* war dabei und berichtet hier vom Arbeitsprozess. Zur Vorbereitung hatte Kim das Arbeitsheft zum Thema gelesen, in dem die Problemlage beschrieben wird: 

Auch Deutschland hat Völker in den besetzten Gebieten ausgebeutet. Durch die Diskriminierungsform Rassismus wurden die kolonisierten Menschen abgewertet. Die Folgen wirken bis heute nach. Obwohl ehemals kolonisierte Gebiete heute eigenständige Länder sind, bestehen Abhängigkeiten fort. Manchmal sind diese verfestigte, nachteilige Handelsstrukturen oder aber unbewusste Annahmen und Denkmuster in den Köpfen der Menschen. 

Hierzu sagt die Expertin für Dekolonialisierungsprozesse Renée Eloundou: “Auch die Beziehungen zwischen Akteur*innen im Fairen Handel aus dem Globalen Norden und aus dem Globalen Süden sind von Werten und Normen aus der Kolonialzeit geprägt, zu denen die jeweiligen Akteur*innen kontextbezogene bzw. lokale Lösungsansätze entwickeln müssen, um gerechtere Handelsbeziehungen in der Praxis zu leben.”

Die Antirassismuspädagogin Manpreet Kaur Kalra schreibt entsprechend: “Die Geschichte des Fairen Handels ist untrennbar mit dem Kolonialismus verbunden.” Denn nach der Kolonialzeit wurden sich Menschen aus den vormals kolonialisierenden Ländern bewusst, welches Unrecht sie angerichtet hatten. Sie wollten aber weiterhin Waren aus den ehemaligen Kolonialgebieten beziehen, ohne weiterhin für Ausbeutung verantwortlich zu sein. Der Faire Handel sollte ein Ausweg sein, indem faire Löhne gezahlt und gute Arbeitsbedingungen geschaffen werden.

 

“Die Geschichte des Fairen Handels ist untrennbar mit dem Kolonialismus verbunden.”

Manpreet Kaur Kalra, Antirassismuspädagogin, Beraterin, Autorin und Podcasterin

Offenbleiben, Neues dazulernen – die Schlüssel zum Fortschritt 

Kim erinnert sich an ein Gespräch zurück, in dem Kim das Arbeitsheft im Team kurz vor dem FFH-Arbeitstreffen durchgesprochen hatte. In der Diskussion gab es immer wieder Stimmen, die sich angegriffen gefühlt haben. “Wir haben Jahrzehnte unseres Lebens damit verbracht, etwas Gutes zu tun – und nun willst du es uns schlecht reden. Wir wollten doch bloß keine Ausbeutung mehr.”

“Das Engagement ist toll. Die Annahme dahinter gilt es zu hinterfragen”, erklärte Kim. In der Broschüre steht, man solle vom “Charity-Denken” Abstand nehmen und sich kritisch fragen, ob man sich als “weiße*r Retter*in” fühlt. Denn in der Debatte gehe es vielmehr darum, vergangenes Unrecht wiedergutzumachen. Dabei gehe es um Solidarität und Verantwortung – nicht um Fingerzeigen. Gemeinsam lernt man dazu und entwickelt sich weiter, dabei sind Fehler normal. Hauptsache, der Prozess zur Überwindung kolonialer Kontinuitäten kommt in Gang. 

Kim zeigte dem Kollegium die Gastbeiträge in der Broschüre, in denen es um koloniale Kontinuitäten durch Regulierung oder Datenweitergabe geht. Auch Landrechte und Wertschöpfungsketten werden thematisiert. 

Aktion auf drei Ebenen: individuell, organisatorisch, systemisch 

Bei dem Arbeitstreffen wurde auch das Konzept der drei verschiedenen Handlungsebenen erläutert: Auf der individuellen Ebene geht es darum, die eigene Haltung kritisch zu hinterfragen und Privilegien zu reflektieren. Auf der organisatorischen Ebene können Entscheidungsstrukturen oder Wertschöpfungsketten auf den Prüfstand gestellt werden. Die strukturelle Ebene stellt die Systemfrage, inwiefern Kapitalismus, Imperialismus und Neokolonialismus unsere Arbeit beeinflussen und wie wir damit umgehen können. Dabei vermischen sich diese Ebenen auch oft, sind aber für eine strukturierte Debatte hilfreich. Denn es passiert immer wieder, dass gleichzeitig auf verschiedenen Flughöhen diskutiert wird und man so aneinander vorbeiredet. In dem Wimmelbild im Heft sind einige Herausforderungen, To Dos und offene Fragen auf den verschiedenen Ebenen dargestellt. Kim sind bereits weitere Punkte eingefallen, die Kim im Heft ergänzt. 

Bei dem Arbeitstreffen hörte Kim von anderen, die sich bereits in ihren Organisationen mit Spuren kolonialer Kontinuitäten auseinandergesetzt und schrittweise verschiedene Aktivitäten durchgeführt haben. Ein Verein hat beispielsweise eine offene Reflexionsgruppe gegründet, ein anderer eine interne Fortbildung zum Thema organisiert und ein dritter eine Studie in Auftrag gegeben. 

Konkrete Ansätze: Lernen, Vernetzen und gemeinsam Handeln

Kim ist inspiriert und hat Lust, sich mit diesem Thema weiter zu beschäftigen. Denn es ist wichtig und längst überfällig. Im Gespräch mit den anderen Teilnehmenden überlegt Kim, welche Handlungsmöglichkeiten es noch gibt und strukturiert es in einer Mindmap. Auf der individuellen Ebene kann man unter anderem Sensibilisierungsworkshops durchführen: Zum Beispiel ein Training zum Thema Antirassismus. Denn Rassismus ist eng mit Kolonialismus verknüpft. Kim fällt noch ein Vortrag zu Critical Whiteness ein, den Kim in der Vergangenheit schon einmal gehört hat. Andere in der Diskussionsgruppe wollen für ihre Organisation einen Leitfaden für Bildsprache und Kommunikation erarbeiten und dafür eine externe Expertin einladen. “Das kann man ja auch gemeinsam machen und Kräfte bündeln”, denkt Kim und nimmt sich vor, das im eigenen Team einmal anzusprechen und mit den anderen Diskussionsteilnehmenden dazu im Austausch zu bleiben. Im Gespräch kommt auf, dass der Faire Handel ja notwendigerweise aktuell in einer kapitalistischen Wirtschaftslogik agiert und man dieses System aber nicht so schnell abschaffen könne. Einige wollen dazu eine Utopie-Werkstatt anbieten, in der eine Welt ohne Kapitalismus visioniert wird. Andere möchten etwas konkreter bleiben und schlagen eine interne kolonialkritische Organisationsentwicklung vor.

Gemeinsam mit den anderen Teilnehmenden überlegt Kim, welche Handlungsmöglichkeiten es im eigenen Wirkungsbereich gibt und wie man konkret zusammenarbeiten kann. Kim definiert den ersten kleinen Schritt, den es in der eigenen Organisation zu gehen gilt: Es steht natürlich an, das eigene Team von der Wichtigkeit dieses Themas zu überzeugen und notwendige Ressourcen hierfür zu priorisieren. Beim nächsten Team-Meeting möchte Kim eine Fortbildung zum Thema vorschlagen. Und mit den anderen Teilnehmenden bleibt Kim zum Kommunikationsguide im Kontakt. Vielleicht wollen sie auch eine eigene Reflexionsrunde gründen.

Der erste Schritt zählt: Widerstände überwinden und Verantwortung übernehmen

Wieder zurück zu Hause bringt Kim die erarbeiteten Vorschläge ins Team ein. Ein Teammitglied entgegnet, man müsse sich doch um Dringenderes kümmern und das operative Geschäft am Laufen halten. Und überhaupt habe man gar keine Ressourcen für teure Trainings.

Kim hält dem entgegen, dass es ja nicht optional sei, sich mit dem Thema Kolonialismus und den Folgen zu beschäftigen, sondern vielmehr eine Pflicht, sich aktiv mit der Vergangenheit zu beschäftigen, deren Nachwirkungen bis heute existieren. Eine andere Person meint, vielleicht sei es ja sogar ein Resilienzfaktor, das Thema aktiv aufzugreifen, bevor es von außen an einen herangetragen würde. Es gäbe ja auch Fördermittel und viele Hilfestellungen im Netz.

Kim bildet eine kleine Taskforce und zusammen mit den anderen Leuten von der Veranstaltung bleibt Kim über eine Reflexionsgruppe in Kontakt. Immer wieder holen sie sich von einer externen Expertin Input und Ratschläge und gehen so Schritt für Schritt das Thema koloniale Kontinuitäten an.

Das Treffen hat gezeigt, wie wichtig es ist, koloniale Kontinuitäten im Fairen Handel anzugehen. Dabei ist klar: Der Prozess braucht Zeit, Geduld und die Bereitschaft, auch Fehler zu machen. Doch jedes Gespräch, jede Maßnahme und jede Reflexion ist ein Schritt in die richtige Richtung. Und vielleicht bist ja du der oder diejenige, die den ersten Schritt in deinem Team geht? 

* Hinweis: An der Veranstaltung hat niemand namens Kim teilgenommen, es handelt sich um eine fiktive Person. Aber vielleicht wärst du ja Kim gewesen?

Publikationen zum Thema
Forum Fairer Handel (2024):

Koloniale Kontinuitäten im Fairen Handel überwinden - Ein Einstiegsheft zum aktiv werden

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