Koloniale Kontinuitäten im Fairen Handel

Autor
Dante Davis
Mitarbeiter im Team „Locals United“

Dante Davis ist 24 Jahre alt, wohnt in Berlin und arbeitet im Projekt Locals United bei der Bundjugend. Das Projekt beschäftigt sich mit intersektionaler Klimagerechtigkeit. Das heißt, die Kämpfe gegen die  Klimakrise und die Kämpfe für eine gerechte und faire Gesellschaft miteinander zu verbinden.

Bevor ich mit dem Thema Fairer Handel und koloniale Kontinuitäten einsteige, möchte ich  auf das Thema Intersektionale Klimagerechtigkeit eingehen. Im Projekt “Locals United” setzen wir uns mit dem Thema intersektionale Klimagerechtigkeit auseinander. Aber was bedeutet die Verbindung von Intersektionalität und Klimagerechtigkeit? 

Die Klimakrise ist eine Krise, die historisch eng mit der Geschichte des Kolonialismus verwoben ist. Denn die Zerstörung der Umwelt und der Anstieg der CO2-Emissionen begann bereits weit vor der Industrialisierung, als europäische Großmächte Begehrlichkeiten für Rohstoffe (Zuckerrohr, Kaffee, Tee, Baumwolle, Kakaobohnen, usw.) aus dem Globalen Süden entwickelten. Diese Begehrlichkeiten halten teils bis heute an und äußern sich entsprechend an dem Anteil der Verantwortung des Globalen Nordens und der Last der Folgen, die der Globale Süden zu spüren bekommt.

Zwischen 1990 und 2015 hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung doppelt so viele CO2-Emissionen ausgestoßen wie die ärmeren 50 %. Gleichzeitig sind die von 2000 bis 2019 am stärksten von Extremwetterereignissen betroffenen Länder ausschließlich Staaten des Globalen Südens. Diese Klimaungerechtigkeiten fußt auf dem Reichtum, den die Länder des Globalen Nordens durch Ausbeutung und Zerstörung angehäuft haben. 

In Bezug auf Intersektionalität zeigt die Klimakrise, dass FLINTA, von Rassismus betroffene Menschen, indigene Menschen, be_hinderte Personen und weitere von Diskriminierung betroffene Gruppen eine höhere Wahrscheinlichkeit haben als Menschen, die nicht zu diesen Gruppen gehören, von Umweltbelastungen oder den direkten Auswirkungen der Klimaveränderungen, wie etwa Dürren, Flutkatastrophen oder einem Wirbelsturm betroffen zu sein. Wenn wir diese Klimaungerechtigkeiten nicht ansprechen, können vermeintliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise bestehende Machtstrukturen aufrechterhalten. Aber was bedeutet das im Bezug auf den Fairen Handel?

Begrifflichkeiten

FLINTA: Frauen, Lesben, inter, nicht-binär, trans*, agender, Personen. Selbstbezeichnung für Menschen, die unter dem Patriarchat leiden und von Sexismus betroffen sind.

Be_hinderung: Aus der US-amerikanischen Behindertenbewgung kommt der Begriff Ableismus (englisch: ableism). Er beschreibt die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, indem Menschen an bestimmten Fähigkeiten – z.B. laufen, sehen, sozial interagieren – gemessen und auf ihre Beeinträchtigung reduziert werden. Wir nutzen den Ausdruck Be_hinderung, um zu verdeutlichen, dass die Gesellschaft Menschen an einer aktiven Teilnahme behindert.

Koloniale Machtstrukturen und Fairer Handel

Die wenigsten Käufer*innen kennen die Geschichte hinter vielen Produkten, die ihren Ursprung im Globalen Süden haben. Viele Produkte wie Kaffee oder Schokolade sind genauso wie die Klimakrise, eng mit dem Kolonialismus und einhergehenden Machtstrukturen verwoben. Das macht das Beispiel von Schokolade und dem dafür benötigten Rohkakao deutlich. Um im 19. Jahrhundert in Europa die steigende Nachfrage nach Rohkakao zu bedienen, arbeiteten auf Kakaoplantagen in Venezuela etwa 16.000 versklavte Menschen aus Afrika. Als Afrika zunehmend ins Visier der europäischen Kolonialmächte geriet, entstanden auch dort vermehrt Kakaoplantagen, in denen versklavte Menschen arbeiteten. Wichtige Philosophen der Aufklärung haben “weißsein” als vorherrschende Norm konstruiert und gleichzeitig Schwarze Menschen damit abgewertet und ihnen das Menschsein abgesprochen. Durch die Rassifizierung von Schwarzen Menschen wurde die Grundlage für die Ausbeutung zur Produktion von Kolonialwaren geschaffen. Daher steht Rassismus in enger Verbindung mit Kolonialwaren. 

Wenn wir im Bezug auf den Fairen Handel zurückschauen, dann erkennen wir Macht- und Hierarchiestrukturen wieder, die während der Kolonialzeit geschaffen wurden. Europa ist z. B. der größte Konsument von Kakaoprodukten, während der afrikanische Kontinent und Südamerika weiterhin die größten Produzenten von Rohkakao weltweit sind, aus denen auch der überwiegende Teil der Fair-Handels-Unternehmen ihre Produkte beziehen. Wenn wir heute in den Supermarkt gehen und uns Kaffee- und Schokoladenprodukte anschauen, dann befinden sich auf vielen Verpackungen weiterhin Bilder von Schwarzen Menschen und People of Color, die zumindest in der Darstellung fragwürdig erscheinen. Menschen mit Migrationsgeschichte und Schwarze Menschen, die in Deutschland die jeweiligen Produkte kaufen, können sich häufig nicht mit den Bildern identifizieren, da sie ihren eigenen Lebensrealitäten meistens nicht entsprechen, sondern nur das Stereotyp eines Abhängigkeitsverhältnisses reproduzieren. Das liegt daran, dass das Verhältnis von Produzierenden und Abnehmer*innen sich im Wesentlichen seit der Kolonialzeit nicht verändert hat. Der Globale Süden produziert weiterhin größtenteils für den Globalen Norden. 

Zuletzt stellt sich noch die kritische Frage nach “nachhaltiger Entwicklung”, die ja auch einen der Leitsätze vieler Fair-Handels-Unternehmen darstellt. Aber was bedeutet überhaupt “Entwicklung”? Der Begriff suggeriert, dass Länder des Globalen Nordens, insbesondere Europa, der Maßstab der Entwicklung seien, an dem sich die Länder des Globalen Südens orientieren sollen. Darin befindet sich wieder eine abwertende Komponente, in der die eurozentristische Perspektive weiterhin im Mittelpunkt steht. Es stellt sich die Frage, ob Fair-Handels-Unternehmen unter dem Druck des kapitalistischen Systems vollumfänglich ihre selbst gesetzten Ziele umsetzen können. 

Zum Abschluss dieses Beitrages möchte ich dir als Leser*in weitere Fragen zum Reflektieren über den Fairen Handel und koloniale Kontinuitäten mitgeben:

●  Wie soll festgelegt werden, was ein fairer Lohn ist?

●  Sind Schokolade, Kaffee und Bananen für dich Luxusprodukte?

●  Wie können wir dafür sorgen, dass die*der einzelne Konsument*in nicht die Entscheidung treffen muss, ob nun ein “faires” oder unfaires Produkt gekauft wird?

Publikationen zum Thema
Forum Fairer Handel (2022):

Klimagerechtigkeit und Fairer Handel

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