Die aktuelle und zukünftige Bundesregierung und die für eine Mehrheit nötigen demokratischen Parteien sollten das erst kürzlich beschlossene (EU-)Lieferkettengesetz zum Schutz grundlegender Menschenrechte und notwendiger Umweltstandards nicht aufgrund kurzsichtiger Interesse in Frage stellen, sondern es ohne ein Absinken von Schutzstandards wirksam umsetzen.
Seit Wochen steht das Lieferkettengesetz unter Druck: So hatte die mittlerweile zerbrochene Ampel-Regierung im Juli in einem Papier für eine sogenannte Wachstumsinitiative angekündigt, dass das deutsche Lieferkettengesetz künftig nur noch für ein Drittel der betroffenen Unternehmen gelten solle. Beim Unternehmertag des Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) Anfang Oktober hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck darüber hinaus mit Blick auf die Berichtspflichten gefordert, “die Kettensäge anzuwerfen und das ganze Ding wegzubolzen.“ Bundeskanzler Olaf Scholz wiederum versprach am 22. Oktober beim Arbeitgebertag, dass das Lieferkettengesetz „wegkomme“. Ein kurz vor dem Bruch der Ampelkoalition öffentlich gewordenes Konzeptpapier von Ex-Finanzminister Christian Lindner fordert unter anderem, dass neue Gesetzesvorhaben, worunter er das Lieferkettengesetz zählt, entweder ganz entfallen oder, wo dies nicht möglich ist, so ausgestaltet sein sollten, dass Bürokratie und Regulierung durch das Vorhaben sinken und keinesfalls steigen. Er wünscht sich zudem Initiativen im EU-Rat, um Regulierungen wie das EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) abzuschaffen.
Das Lieferkettengesetz zeigt erste Wirkung
Die Äußerungen der drei Politiker sind teilweise nicht eindeutig, denn feststeht, dass die Mehrheit in der EU das EU-Lieferkettengesetz beschlossen hat und die deutsche Regierung dieses nun nicht einfach abschwächen oder gar abschaffen kann. Unabhängig von ihrer Uneindeutigkeit ist der derzeitige Diskurs, der von Teilen der Wirtschaft sowie politischen Entscheidungsträger*innen in der Regierung und auch Teilen der Opposition vorangetrieben wird und strengere Nachhaltigkeitsstandards als eine unnötige Belastung für deutsche Unternehmen darstellt, ein verheerendes Signal für eine dringend notwendige sozial und ökologisch nachhaltigere Wirtschaft und alle Akteure, die sich bereits in diese Richtung auf den Weg gemacht haben.
Nach dem Bruch der Ampel-Koalition ist nun erst einmal unklar, welche Initiativen die Minderheitsregierung bis zu den Neuwahlen noch durchbringen wird. Ursprünglich wollte die Ampel-Regierung das EU-Lieferkettengesetz noch in dieser Legislaturperiode umsetzen. Auf jeden Fall sollte sich die derzeitige und zukünftige Regierung sowie alle für eine Mehrheit notwendigen demokratischen Parteien nicht von kurzfristigen Unternehmensinteressen leiten lassen, sondern sich vor Augen führen, warum das Lieferkettengesetz in Deutschland (übrigens noch von der Großen Koalition) auf den Weg gebracht wurde. So geht es bei dem Gesetz etwa um grundlegende Menschenrechte, die nicht einfach zur Disposition stehen dürfen, wie etwa die Verhinderung von Kinder- oder Sklavenarbeit. Diese werden in vielen globalen Lieferketten deutscher und europäischer Unternehmen regelmäßig verletzt.
Bereits jetzt sind viele Hinweise und Beschwerden mit Bezug zum Lieferkettengesetz bei der für die Umsetzung des Gesetzes zuständige Behörde BAFA eingegangen, was den dringenden Bedarf für das Gesetz verdeutlicht. Berichte von einigen Organisationen, wie jüngst der Romero Initiative (CIR), zeigen, dass das Lieferkettengesetz diesbezüglich erste positive Wirkungen zeigt. So deckte die Organisation schwerwiegende Menschenrechts- und Umweltverletzungen, wie Wasserverschmutzung, Landraub und Arbeitsrechtsverletzungen in den Palmöllieferketten deutscher Unternehmen auf. Durch die Vorgaben im Lieferkettengesetz wurden die Unternehmen dazu bewegt, Abhilfe zu schaffen. Auch das BAFA zieht in seinem Rechenschaftsbericht 2023 eine positive Bilanz zum Nutzen des Gesetzes für faire Arbeitsbedingungen in den Lieferketten.
Das Lieferkettengesetz schafft den Rahmen für ein resilientes Wirtschaften
Darüber hinaus ist längst klar, dass mit Blick auf die vielfältigen sozialen und ökologischen Krisen Nachhaltigkeitsstandards kein zu vernachlässigendes „Nice to have“ mehr sein dürfen. Ohne ein konsequentes Umsteuern zu einer sozial und ökologisch nachhaltigeren Produktionsweise werden sich existierende Krisen weiter verschärfen und viele Sektoren auch nicht mehr zukunftsfähig sein. Im Kaffeesektor etwa steht die Frage im Raum, wieviel Kaffee zukünftig ohne Maßnahmen für einen besseren Umwelt- und Klimaschutz oder bessere Arbeits- und Einkommensbedingungen für zukünftige Kaffeebäuer*innen noch angebaut wird bzw. werden kann. Da jedoch Unternehmen alleine die zwar notwendigen aber von der Konkurrenz nicht eingepreisten Veränderungen für mehr Nachhaltigkeit nicht angehen, braucht es dafür einen starken gesetzlichen Rahmen. Das deutsche und nun das EU-Lieferkettengesetz stellen dafür gute erste Schritte dar.
Viele Unternehmen haben sich bereits auf den Weg gemacht – dies betrifft nicht nur Vorreiter wie Fair-Handels-Unternehmen, für die die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards schon seit langem zur Unternehmenspraxis gehört. Diese Unternehmen erhoffen sich vom deutschen und jetzt kommenden EU-Lieferkettengesetz ein Level-Playing-Field.
Das Lieferkettengesetz ist richtig umgesetzt kein “Bürokratiemonster”
All diese Argumente sind nicht neu. Dass nun mit Blick auf Konjunkturschwankungen und kurzfristige Wirtschaftsinteressen diese wieder zur Debatte stehen, ist fatal. Die Unternehmensberaterin Madeleine Koalick bekräftigt in einem Interview mit dem Forum Fairer Handel, dass Unternehmen das EU-Lieferkettengesetz stärker als Chance begreifen sollten, da Unternehmen, die ihre klimabedingten und menschenrechtlichen Risiken kennen, resilienter seien. Zudem bekräftigt sie mit Blick auf ihre Praxiserfahrung, dass das Gesetz risikobasiert und angemessen umgesetzt kein „Bürokratiemonster” sei, wie es von vielen Wirtschaftsverbänden dargestellt werde.
Anstelle das erst kürzlich beschlossene Gesetz in Frage zu stellen und abzuschwächen, sollte vielmehr geschaut werden, wie es gegebenenfalls effektiver und wirksamer umgesetzt werden kann. So wird etwa immer wieder berichtet – so auch in dem Interview mit Madeleine Koalick – , dass viele Unternehmen ihre Pflichten auf ihre Zulieferer abwälzen. Die Rede ist davon, dass sie etwa ohne eine Priorisierung der Risiken alle ihre Zulieferer Fragebögen ausfüllen lassen und Zusicherungen von ihnen verlangen, auch wenn diese gar nicht in das entsprechende Risikoprofil passen. Gleichzeitig würden einige Unternehmen Anforderungen aus dem Lieferkettengesetz einfach in Verträge mit ihren Zulieferern übersetzen, die sich so lesen, als ob die Zulieferer direkt an das Gesetz gebunden wären. Dies geschieht ohne jegliche Schulungen oder Kapazitätsaufbau. Eine gute Möglichkeit, kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) hier zu unterstützen – wie es von Kritiker*innen des Lieferkettengesetzes gefordert wird – wäre es, wenn diesem Abwälzen der Pflichten auf die Zulieferer durch Unternehmen Einhalt geboten würde und es klare Vorgaben für die Unterstützung der Zulieferer gäbe.
Bei der derzeit viel diskutierten Frage um eine Entlastung von Unternehmen darf es nicht um ein kurzsichtiges Wiederabsinken von Nachhaltigkeitsstandards gehen. Vielmehr sollte geschaut werden, wie die verschiedenen Regulierungen für eine nachhaltigere Wirtschaft (wie unter anderem das EU-Lieferkettengesetz, die EU-Entwaldungsrichtlinie oder die EU-Richtlinie zu Berichtspflichten) wirksam und effektiv sowie gut aufeinander abgestimmt umgesetzt werden können.
Wir fordern ein klares Bekenntnis zum deutschen und EU-Lieferkettengesetz
Für das deutsche und das EU-Lieferkettengesetz gab und gibt es viele gute Gründe. Anstelle diese kurzsichtig beiseite zu wischen, obwohl die Gesetze gerade erst beschlossen wurden und bereits erste positive Wirkungen zeigen, muss die derzeitige und zukünftige Bundesregierung sowie alle für eine Mehrheit nötigen demokratischen Parteien das EU-Lieferkettengesetz wirksam umsetzen ohne Schutzstandards abzuschwächen. Zudem bedarf es wirksame Maßnahmen zur Unterstützung der Zulieferer von unter das Gesetz fallenden Unternehmen bei der Umsetzung der Anforderungen. Es ist gut, dass sich gegen die Äußerungen von Habeck, Scholz und Lindner Widerstand regt und sich etwa grüne und auch SPD-Politiker*innen für das Lieferkettengesetz ausgesprochen haben. Dies muss noch vehementer passieren. Abschwächungen der beschlossenen Vorgaben wären ein Schlag ins Gesicht der in den Lieferketten europäischer Unternehmen von Menschenrechtsverletzungen Betroffenen sowie von Vorreiterunternehmen und zudem verheerend für eine dringend notwendige Wende hin zu einer sozial und ökologisch nachhaltigeren Wirtschaft.