Der globale Waldbestand steht unter Druck: Im Jahr 2023 gingen weltweit 3,7 Millionen Hektar Wald verloren und aktuelle Studien lassen keinen Abwärtstrend, sondern ein Verweilen auf hohem Niveau erkennen. Lediglich in einigen regional begrenzten Gebieten können Fortschritte bei der Bekämpfung des Waldverlustes verzeichnet werden. In Brasilien etwa reduzierte sich zwischen 2022 und 2023 die Entwaldung um 36 Prozent, in Kolumbien um 49 Prozent. Trotz dieser punktuellen Lichtblicke ist der globale Waldbestand insgesamt jedoch weiterhin einer massiven Bedrohung ausgesetzt, insbesondere in Afrika, Asien und Südamerika.
Dabei kommt Wäldern eine wichtige Doppelfunktion zur Sicherung unserer Lebensgrundlage und zur Bekämpfung der sich zuspitzenden Klima- und Biodiversitätskrise zu: Einerseits wirken sie als riesiger Kohlenstoffspeicher, indem sie CO2 langfristig binden. Andererseits zeichnet sich das Ökosystem Wald durch immense Biodiversität aus, da insbesondere tropische Regenwälder eine Vielzahl unterschiedlicher Pflanzen- und Tierarten beherbergen.
Die lebenswichtigen Funktionen, die Wälder für die Stabilität unseres Lebensraumes einnehmen, schützen sie jedoch nicht vor weiterer Zerstörung. Rund 90 % des globalen Waldverlustes sind auf die Ausweitung von Agrarnutzflächen zurückzuführen. Tropische Wälder werden gerodet, um sie als Anbaufläche für landwirtschaftliche Güter wie Palmöl, Soja oder Kakao, sowie als Weidefläche für Rinder zu nutzen. Die Absatzmärkte für die genannten Rohstoffe liegen vor allem in den USA, China und der EU.
Die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte – eine Initiative für globalen Waldschutz
Europäer*innen tragen somit durch den Konsum von Produkten aus entwaldungsgefährdeten Gebieten zur Problematik des Waldverlustes bei. Um diesem Umstand entgegenzuwirken, verabschiedete das EU-Parlament am 19. April 2023 die "EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EUDR)", mit dem Ziel, die globale Entwaldung einzudämmen und sicherzustellen, dass keine Produkte am EU-Markt angeboten werden, die auf entwaldeten Waldflächen produziert wurden. Die neue Gesetzesinitiative sieht vor, dass Unternehmen die von der Verordnung umfassten Rohstoffe (u.a. Soja, Ölpalmen, Holz, Kakao, Kaffee) bis zur Anbaufläche mittels Geodaten zurückverfolgen können. Zudem muss ein Abgleich mit Satellitendaten erfolgen, um sicherzustellen, dass keine Waldzerstörung stattgefunden hat. Zuletzt ist es je nach Unternehmensart notwendig, eine Risikoanalyse durchzuführen und eine Sorgfaltserklärung abzugeben, um das Entwaldungsrisiko weiter zu minimieren. Mit der neuen Verordnung kommt die EU auch der Forderung nach, unternehmerische Sorgfaltspflichten zunehmend regulatorisch und rechtlich verbindlich festzulegen.
Kleinproduzent*innen durch Entwaldungsverordnung unter Druck
Die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte ist in ihrer Art und Funktionsweise ein Meilenstein für den globalen Wald- und Klimaschutz und zur Sicherstellung von Transparenz entlang globaler Lieferketten. In der aktuellen Implementierungsphase stehen jedoch insbesondere Kleinproduzent*innen am Anfang der Lieferkette unter Druck, da sie nur auf limitierte personelle und finanzielle Ressourcen zugreifen können, um die neu entstandenen Anforderungen umzusetzen. Für eine Vielzahl von Kleinproduzent*innen stellt der Zugang zum EU-Markt eine wichtige Existenzgrundlage dar, die verloren geht, falls die Anforderungen der EU-Verordnung nicht eingehalten werden. Beispielsweise führt die notwendige Erhebung der Geodaten zu den Anbauflächen zu großen Herausforderungen. Es fehlt an Wissen und Erfahrung zu digitalen Anwendungen, die bei der Erfassung von Geodaten helfen können. Zudem ist für viele Kooperativen unklar, wie die Daten übermittelt oder in welchem Format sie bereitgestellt werden sollen. Zuletzt erfolgt vielerorts durch ungerechte Verträge eine Weitergabe der Sorgfaltspflichten der nachgelagerten, marktmächtigeren Unternehmen, obwohl diese selbst für deren Einhaltung verantwortlich sind.
Letztlich verdeutlichen sich auch an der EU-Entwaldungsverordnung die Machtasymmetrien entlang globaler Lieferketten. Neben der mangelnden Einbindung von Repräsentanten aus dem Globalen Süden während des Gesetzgebungsverfahren fehlt es an Aufklärung über die neue Verordnung, Unterstützung durch nachgelagerte Unternehmen sowie an finanziellen Ressourcen bei Kleinbäuer*innen. Es ist Aufgabe der EU und europäischer Unternehmen, ihre Handelspartner adäquat zu unterstützen, um zu verhindern, dass Mehrkosten und Sorgfaltspflichten an die schwächsten Akteure am Beginn der Lieferkette abgeschoben und weitergegeben werden. Initiativen wie der HREDD Support Fund sind mögliche Lösungsansätze, um Kleinproduzent*innen bessere Unterstützung bereitzustellen.
EU-Kommission setzt mit Verlängerung der Übergangsphase ein widersprüchliches Zeichen
Seit ihrem Inkrafttreten im Juni 2023 sieht sich die EU-Entwaldungsverordnung mit positiver Anerkennung, aber auch starker Kritik konfrontiert. Im Oktober 2024 reagierte die Europäische Kommission auf diese mit einem Vorschlag zur Verlängerung der Übergangsphase um zwölf Monate bis Dezember 2025 für Groß- und Mittelunternehmen bzw. bis Juni 2026 für Kleinst- und Kleinunternehmen. Mit diesem Vorschlag setzt die Kommission ein widersprüchliches Zeichen im Hinblick auf die sich intensivierende Klima- und Biodiversitätskrise, die Umsetzung des European Green Deal, und dem EU-Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein. Zumal sich bereits vor der geplanten Verlängerung der Umsetzungsfrist eine Vielzahl an Organisationen und Kooperativen gegen eine derartige Verzögerung und für eine fristgerechte Einführung der Verordnung einsetzten, beispielsweise 120 Kleinproduzent*innen aus Ghana und Côte d'Ivoir (Link). Sie streichen den fundamentalen Charakter der Entwaldungsverordnung heraus, als Meilenstein im Schutz von Umwelt- und Menschenrechten zu wirken, verbunden mit dem Appell zu einer zügigen Umsetzung. Die Kommission versicherte keine inhaltliche Abschwächung der Verordnung, dennoch kam es umgehend im November zu inhaltlichen Änderungsvorschlägen durch die European People’s Party (EPP) im EU-Parlament, die eine Aufweichung der Entwaldungsverordnung forderte. Es steht weiterhin offen, ob diese Zusatzänderungen angenommen werden. Sollte es zu einer Verlängerung der Umsetzungsfristen um zwölf Monate kommen, muss die Zeit genutzt werden, um Kleinproduzent*innen bessere Unterstützungsleistungen anzubieten.
Waldschutz ist im Fairen Handel seit Jahrzehnten Standard
Die EU-Entwaldungsverordnung ist ein wichtiger Schritt zur Etablierung von Transparenz und Rückverfolgbarkeit entlang globaler Wertschöpfungsketten sowie für den internationalen Wald- und Klimaschutz. Sie gießt die Verantwortung zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten und Transparenzanforderungen, die international agierenden Unternehmen im Zuge ihrer Geschäftstätigkeit zukommt, in einen verbindlichen Rahmen. Diese neuen Anforderungen finden im Fairen Handel schon lange Anwendung. Das Fair-Handels Unternehmen Naturland nahm beispielsweise bereits im Jahr 2009 ein Primärwaldentwaldungsverbot (ein Primärwald ist ein vom Mensch nicht oder nur wenig beeinflusster Wald) mit dem Jahr 2000 als Stichtag in seine Erzeugerrichtlinie auf. Die Naturland Fair-Zertifizierung fußt unter anderem auf dieser Richtlinie, wodurch transparente Rückverfolgbarkeit von Produkten bis zu ihrem Herstellungsort sichergestellt werden kann. Durch regelmäßigen und intensiven Austausch mit den Mitgliedern, z.B. Kaffee- und Kakaokooperativen, werden gemeinsam Risiken identifiziert und präventiv gelöst. Auch in den Standards für kleinbäuerliche Organisationen von Fairtrade ist seit 2011 der Erhalt von Schutzgebieten als Kernkriterium fest verankert und ein Entwaldungsverbot wird seit der Überarbeitung 2019 explizit benannt.
Der Faire Handel agiert seit Jahrzehnten als Vorreiter in Bezug auf Transparenz, Rückverfolgbarkeit sowie Umwelt- und Waldschutz. Nichtsdestotrotz sind neue europäische Rahmenwerke eine bedeutende und überfällige Komplementierung zu den Prinzipien des Fairen Handels, die einen Weg aufzeigen, wie zukünftig globale Lieferketten verbindlich gerechter und im Einklang mit Schutzmaßnahmen für Umwelt und Menschenrechte gestaltet werden können.