Eine gute Basis für mehr Menschenrechte und Umweltschutz – aber mit vielen Lücken

Autorin
Maja Volland
Politische Referentin, Forum Fairer Handel

Am 23.02.2022 hat die EU-Kommission ihren Entwurf für ein EU-weites Lieferkettengesetz ("Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit") veröffentlicht. Darin werden Unternehmen dazu verpflichtet, Risiken für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in ihren globalen Lieferketten zu ermitteln und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Der Entwurf der Kommission geht in die richtige Richtung und würde einige kritische Punkte im deutschen Lieferkettengesetz  verbessern. Allerdings enthält er an entscheidenden Stellen Lücken und Ausnahmeregeln, welche eine wirksame Minderung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in globalen Lieferketten beeinträchtigen.

Positiv: Existenzsichernde Löhne sind Teil des Entwurfes

Ein Fortschritt zum deutschen Gesetz ist, dass der EU-Entwurf existenzsichernde Löhne umfasst. Nach dem Richtlinienentwurf dürfen Unternehmen nicht gegen das Verbot verstoßen, einen angemessenen existenzsichernden Lohn vorzuenthalten. Das deutsche Gesetz erwähnt lediglich "angemessene Löhne". Da in vielen Ländern die gesetzlichen Mindestlöhne zu niedrig sind, um eine Existenzgrundlage zu sichern, schließt die EU-Kommission mit dem Verweis auf existenzsichernde Löhne hier eine wichtige Lücke.

Negativ: Es braucht auch existenzsichernde Einkommen!

Der Entwurf erwähnt zwar existenzsichernde Löhne, aber leider erwähnt er keine existenzsichernden Einkommen. Dabei haben nicht nur angestellte Arbeiter*innen, welche einen Lohn von ihrem Arbeitgeber ausgezahlt bekommen, sondern auch Produzent*innen und Kleinbäuer*innen, die selbstständig und nicht angestellt ihr Einkommen erwirtschaften, ein Recht auf ein existenzsicherndes Auskommen (laut Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat jede*r das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard). Ein existenzsicherndes Einkommen stellt zudem in vielen Fällen eine Grundvoraussetzung für die Einhaltung anderer Menschenrechte dar. In einer früheren Fassung des Kommissionsentwurfs, welche jedoch nicht öffentlich gemacht wurde, wird dieser Zusammenhang anerkannt. Im Begründungstext des geleakten, nicht finalen Richtlinienentwurfs zählt die Kommission unter anderem eine bessere Preispolitik von Unternehmen, die zu einem angemessenen Lebensstandard für Bäuer*innen und ihre Familien führe, als eine angemessene Maßnahme zur Beendigung von Kinderarbeit auf. Diese Passage wurde jedoch aus der finalen Fassung gelöscht.

Einkaufs- und Preispolitik müssen als Präventionsmaßnahme in die Richtlinie!

Immerhin wird im veröffentlichten Entwurf weiterhin auf die Preispolitik von Unternehmen verwiesen: So heißt es in der Begründung zur Richtlinie, dass Unternehmen die Effekte ihrer Einkaufs- und Preispolitiken gegenüber ihren Lieferanten berücksichtigen sollten, wenn sie negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt in ihren Lieferketten identifizieren. Dies ist wichtig, da viele Unternehmen ihren Lieferanten unlautere Vertrags- und Preiskonditionen aufzwingen und dadurch einen enormen Kostendruck entlang der Lieferkette erzeugen, welcher häufig zu Lasten von Menschen- und Arbeitsrechten sowie der Umwelt geht . Leider stehen die Einkaufspraktiken von Unternehmen als geeignete Präventionsmaßnahme nicht im eigentlichen Richtlinientext, sondern nur in der Begründung des Dokumentes. Dies ist im deutschen Lieferkettengesetz anders und sollte auch im EU-Lieferkettengesetz der Fall sein.

Positiv: Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Lieferkette

Negativ: Es gibt Einschränkungen

Positiv ist wiederum, dass der EU-Entwurf anders als beim deutschen Lieferkettengesetz Unternehmen verpflichtet, entlang der gesamten Lieferkette Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Im deutschen Gesetz gilt dies vollumfänglich nur für direkte Zulieferer. Allerdings beschränkt die EU-Kommission die Sorgfaltspflichten lediglich auf „etablierte Geschäftsbeziehungen“ von Unternehmen. Diese Einschränkung schließt alle kurzfristigen Geschäfte aus, obwohl diese durchaus negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt haben können. Darüber hinaus birgt dies die Gefahr, dass kurzfristige Geschäfts- und Vertragsbeziehungen – wo dies möglich ist – gefördert werden, weil Unternehmen dadurch ihre Sorgfaltspflichten umgehen können. Dabei sind langfristige Geschäftsbeziehungen insbesondere für Kleinproduzent*innen und -bäuer*innen wichtig, um eine bessere Planbarkeit zu haben. Sie sind ein Grundprinzip von Fair-Handels-Unternehmen.

Positiv: Zivilrechtliche Haftung

Negativ: Es gibt Ausnahmen

Um Risiken für Menschenrechte und Umwelt präventiv entgegenzuwirken, sieht der EU-Entwurf ähnlich wie das deutsche Gesetz Sanktionen und Bußgelder vor, wenn Unternehmen gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen. Erfreulich ist des Weiteren, dass die EU-Kommission eine zivilrechtliche Haftung für Unternehmen vorsieht. Dies schließt eine große Lücke des deutschen Lieferkettengesetzes und ermöglicht es den Betroffenen, Unternehmen vor Gerichten in EU-Mitgliedsstaaten auf Schadensersatz zu verklagen. Ob damit Betroffene einfacher zu ihrem Recht kommen, ist allerdings offen, da der Entwurf nichts an den hohen Hürden für transnationale Klagen gegen Unternehmen, wie etwa hohe Kosten, kurze Zeitfristen oder unverhältnismäßige Beweislasten, ändert.
Eine große Gefahr ist zudem, dass Unternehmen sich mit Vertragsklauseln ihrer Verantwortung entziehen können. So können laut dem EU-Entwurf Unternehmen auch dadurch ihre Pflichten erfüllen, indem sie bestimmte Vertragsklauseln mit ihren Lieferanten unterzeichnen und die Einhaltung durch Dritte überprüfen lassen. Die EU-Kommission kündigt in der Richtlinie an, Vorlagen für solche Vertragsklauseln zu formulieren. Diese Regelung birgt die Gefahr, dass Unternehmen sich ihrer Verantwortung entziehen und ihre Pflichten mit Hilfe von Vertragsgarantien nach unten in die Lieferkette abgeben. Je nachdem, wie die Vorgaben der EU-Kommission für Vertragsklauseln ausgestaltet sein werden, schränkt diese Regelung die Wirksamkeit der Richtlinie zur Minderung von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken stark ein.

Negativ: Keine eigenständigen klimabezogenen Sorgfaltspflichten

Problematisch ist zudem, dass der Entwurf, ebenso wie in Deutschland, Unternehmen keine eigenständigen klimabezogenen Sorgfaltspflichten auferlegt. Sie müssen zwar erfreulicherweise einen Klimaschutzplan in Übereinstimmung mit dem 1,5°C-Ziel des Pariser Übereinkommens erstellen. Allerdings haben Unternehmen keine Konsequenzen zu fürchten, wenn sie ihren Plan nicht einhalten. Dies macht die Vorgabe wenig wirksam. Mit Blick auf die Klimakrise und die verheerenden Auswirkungen insbesondere für Menschen im Globalen Süden, ist dies nicht ausreichend.

Positiv: Größerer Anwendungsbereich als im deutschen Gesetz

Negativ: Es werden immer noch zu wenig Unternehmen erfasst

Laut EU-Entwurf soll die Richtlinie für alle Unternehmen im EU-Binnenmarkt mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen und einem jährlichen Nettoumsatz von 150 Mio. Euro gelten. In den Risikosektoren Textil, Landwirtschaft und Bergbau sollen die Pflichten bereits für Unternehmen ab 250 Mitarbeiter*innen und einem Nettoumsatz von 40 Mio. Euro gelten. Dies ist prinzipiell begrüßenswert und geht über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus, welches ab 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten gilt. Dennoch würde das EU-Lieferkettengesetz damit weniger als 1 % aller Unternehmen in der EU erfassen. Zudem fehlen bei der Auflistung der Sektoren, in welchen es ebenfalls hohe Risiken für Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen gibt, wie etwa Transport oder das Bauwesen.

Es braucht andere Geschäftsmodelle!

Als Reaktion auf den Kommissionsentwurf für das EU-Lieferkettengesetz empfahl die Präsidentin der World Fair Trade Organisation (WFTO) Roopa Mehta der EU-Kommission „sich soziale Unternehmen, die sich in Gänze dem Fairen Handel verschrieben haben, zum Vorbild zu nehmen und sich anzuschauen, wie diese soziale und umweltbezogene Aspekte in ihre Geschäftsmodelle integrieren. Die EU-Kommission muss sicherstellen, dass konventionelle Unternehmen ähnliche Ansätze übernehmen, damit diese hohe Arbeits- und Umweltstandards nicht als zweitrangig behandeln, sondern sich von der Maxime der reinen Profitmaximierung hin zu einem Wirtschaften zu bewegen, welches den Menschen und dem Planeten dient.“

Die Bundesregierung muss nun halten, was sie im Koalitionsvertrag verspricht!

Der Kommissions-Entwurf geht nun im weiteren Verfahren an das Europäische Parlament sowie an den Rat. Einmal verabschiedet, müssten die EU-Mitgliedsstaaten die Richtlinie in nationales Recht umwandeln. Deutschland müsste in dem Fall das 2021 verabschiedete Lieferkettengesetz anpassen.

Die Bundesregierung und die deutschen EU-Parlamentarier*innen müssen sich jetzt dafür einsetzen, dass die Schlupflöcher und Lücken in dem EU-Entwurf geschlossen werden. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag zu einem wirksamen EU-Lieferkettengesetz bekannt und steht nun in der Pflicht!

Weitere Informationen

Die aktuelle Stellungnahme der Initiative Lieferkettengesetz zum Entwurf der EU-Kommission finden Sie hier.

Publikationen zum Thema
WFTO, FI, FTAO (2022):

Ein EU-Lieferkettengesetz mit positiver Wirkung: Wie stellen wir sicher, dass Kleinbäuerinnen und -bauern, Arbeitskräfte und Kunsthandwerker*innen in globalen Lieferketten nicht das Nachsehen haben?

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