Eine faire Zukunft für alle? Geht das überhaupt?

Eine faire Zukunft für alle?
Autor
Matthias Fiedler
Geschäftsführer

Eine faire Zukunft für alle, geht das überhaupt? Es geht nur dann nicht, wenn wir es nicht versuchen. Es geht aber auch nur dann, wenn wir es "richtig" angehen – und dazu lohnt es, sich ein paar allgemeine Gedanken darüber zu machen, wie politische und gesellschaftliche Veränderungsprozesse funktionieren und was für den Fairen Handel daraus abzuleiten ist.

"Fighting the bad, building the new"

Große politische und gesellschaftliche Veränderungen, die dem Allgemeinwohl dienen, werden in der Regel nicht von denen angestoßen, die in Gesellschaften Macht und Privilegien besitzen. Macht und Privilegien scheinen bei fast allen Menschen dazu zu führen, dass sie zu Bewahrer*innen des Status-Quo werden, der ihre Position festigt. Die Durchsetzung von Frauen-, Arbeiter- und Menschenrechte, aber auch das Ende der Atomkraft in Deutschland sind Beispiele von Veränderungsprozessen von unten, die ohne starke soziale Bewegungen nicht möglich gewesen wären. Schaut man sich diese Prozesse genauer an, stellt man zudem fest, dass es dabei immer auch Dimensionen des Neuen und des Visionären gab.

Ein paar Beispiele:

Während die Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert gegen die Missstände des Frühkapitalismus mobilisierte, entstand zeitgleich die Genossenschaftsbewegung, die bis heute alternative Formen des Wirtschaftens prägt. Anfang der 1990er Jahre gründete sich in Brasilien mit La via Campesina ("der bäuerliche Weg") die inzwischen weltweit größte globale Bewegung von Kleinbäuer*innen, Landarbeiter*innen, Fischer*innen, Landlosen und Indigenen mit dem Ziel, sich für eine gerechte Globalisierung einzusetzen. Gleichzeitig baut die Bewegung aber auch kleinbäuerliche Strukturen wie Kooperativen auf, die die Forderungen der Bewegung bereits in die Realität umsetzen.

Dass 2022 in Deutschland das letzte Atomkraftwerk abgestellt wird, ist zu großen Teilen einer starken Anti-Atombewegung zu verdanken, es wäre aber – das zeigt aktuell das Beispiel Frankreich – nicht möglich gewesen, wenn sich nicht auch eine ebenso starke Minderheit schon früh an den Ausbau der erneuerbaren Energien gemacht hätte.

Kurz und gut: Die Formel "Fighting the bad, building the new" scheint es ganz gut auf den Punkt zu bringen, wie positive gesellschaftliche Veränderungen erreicht werden können. Dafür ist auch der Faire Handel ein gutes Beispiel. Als Bewegung ging es dem Fairen Handel seit seinen Anfängen darum, Veränderungen von ungerechten Wirtschafts- und Handelsstrukturen zu erstreiten. Gleichzeitig wurde aber auch damit begonnen, die erwünschte Zukunft bereits zu bauen, indem eine Alternative erprobt und entwickelt wurde.

Ein Modell für den Wandel

Natürlich ist das mit dem gesellschaftlichen Wandel alles wesentlich komplexer als oben dargestellt. Den Übergang von einem profitorientierten zu einem fairen, nachhaltigen und zukunftsfähigen Wirtschafts- und Handelssystem zu gestalten bedarf einer Arbeit auf vielen Ebenen. Eine genaue Analyse des bestehenden Systems und was aktiv verändert oder bekämpft werden muss gehört da genauso dazu, wie ein Nachdenken darüber, wie das neu aufzubauende aussehen sollte. Es gilt Veränderungen bei den Regeln und Rahmenbedingungen, die das derzeitige System stützen, herbeizuführen. Gleichzeitig müssen sich auch die Werte und Normen, nach denen wir unser Handeln ausrichten, grundlegend verändern.

Diesen komplexen Prozess haben wir in unserer neuen Zukunftsbroschüre in einer Grafik dargestellt. Diese soll dazu dienen, genauer zu schauen, wo wer an welcher Stellen arbeitet und wie wir uns als Fair-Handels-Bewegung ergänzen und unterstützen können.

Wandelmodell

Das alles zu schaffen, geht nur in einem gemeinsamen Kraftakt, für den es strategische Allianzen und große Bündnisse braucht. Denn häufig sind die, die sich vor allem gegen Missstände wehren, nicht die, die gleichzeitig auch das Neue aufbauen können. Sowohl das eine ("fighting the bad") als auch das andere ("building the new") braucht oft viel Konzentration und einen extrem langen Atem.

Die Vorstellungskraft aus der Zukunft heraus ankurbeln

Für diesen Kraftakt braucht es also auch Visionen und Leitbilder, die unsere Arbeit "aus der Zukunft heraus" unterstützen. Die Transformationsforschung ist da sehr klar: Imagination, also die Kraft, sich eine andere, bessere Zukunft vorzustellen, nimmt eine Schlüsselfunktion in Veränderungsprozessen ein. Deshalb haben wir uns im Forum Fairer Handel daran gemacht, starke Zukunftsbilder zu entwerfen, wie eine gerechte und nachhaltige Welt in 50 Jahren aussehen sollte. Bei einer solchen Zukunftsarbeit stellt sich schnell ein Schwindelgefühl ein. Mal ist das Bild zu abstrakt oder unrealistisch, mal zu kleinteilig. Da hilft es dann, Zukunftsbilder in verschiedenen Ebenen zu denken.

Wie sieht also die Welt aus, für die wir im Fairen Handel streiten und arbeiten? Diese Welt ist von einem gerechten Welthandel geprägt, Gesellschaften sind solidarisch organisiert und sowohl Produktion als auch das Wirtschaftssystem insgesamt sind so strukturiert, dass sie ein gutes Leben für Alle ermöglichen würden. Nun ließe sich zu Recht einwenden, dass das viel zu abstrakt ist, um eine wirklich handlungsleitende Kraft zu entwickeln. Aber ist es nicht genau das, was uns manchmal fehlt?

Die Frage nach dem "Wozu?" sollten wir uns immer wieder stellen – und wir sollten die Frage nach dem "Wie?" einer faireren Zukunft nicht nur "kognitiv" beantworten, sondern auch mit unserer Vorstellungskraft. Natürlich müssen sich diese Bilder auch mit Inhalten füllen. Auch das haben wir in unserer Zukunftsbroschüre gemacht und bei jedem dieser Bilder Bedingungen des Gelingens formuliert. So ist z.B. ein gerechter Welthandel nur möglich, wenn wir es schaffen, 100 % faire Handelsbedingungen herzustellen. Letzteres ist erst dann erreicht, wenn bei Handelspraktiken immer Menschenrechten und der Umwelt der Vorrang vor Profit oder Partikularinteressen gegeben wird. Dazu gehört auch, dass Handelsverträge anders gestaltet sind, ebenso wie die Tatsache, dass sich die Prinzipien des Fairen Handels auf alle Sektoren des Welthandels ausweiten.

Schon dieses Beispiel zeigt, dass es eine echte Herausforderung ist, aus diesen Bildern konkrete Handlungsschritte herauszuarbeiten – aber genau das soll durch die Arbeit mit diesen Zukunftsbildern geschehen. Das Wandelmodell wird uns dabei helfen, diese konkrete Schritte auch gut zu verteilen und zu schauen, was man konkret als einzelne Organisation machen kann, was nur im größeren Verbund mit anderen geht und was man getrost anderen überlassen sollte, weil sie es einfach besser können.  

Der Transformationsforscher Uwe Schneidewind hat für diese Art der "Arbeit an der Zukunft" den Begriff "Zukunftskunst" geprägt. Das haben wir in unserer Broschüre wörtlich genommen und Illustrationen entwickelt, die das Vorausdenken und Vorstellen anregen sollen.

Wir hoffen, dass wir so einen Anstoß geben können, uns als Fair-Handels-Bewegung gemeinsam auf den Weg zu machen und zu Zukunftskünstler*innen zu werden. Die Broschüre ist eine Einladung dazu, sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Wie Sie sich an der Diskussion um eine faire Zukunft beteiligen können, erfahren Sie auf der letzten Seite der Broschüre. Machen Sie mit!

Publikationen zum Thema
Eine faire Zukunft für alle
Forum Fairer Handel (2021):

Eine Faire Zukunft für alle – Zukunftsbilder des Fairen Handels

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