Evelyn Bahn arbeitet als Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte bei der entwicklungspolitischen Organisation INKOTA-netzwerk. Sie hat einen Abschluss in Politikwissenschaft von der Freien Universität Berlin und arbeitet seit 20 Jahren zu Menschenrechtsfragen in globalen Lieferketten. Seit 2013 setzt sie sich dafür ein, dass Schokoladenunternehmen ihrer Verantwortung zur Einhaltung von Menschenrechten nachkommen. Evelyn Bahn arbeitet eng mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in Ghana und Côte d’Ivoire zusammen. Sie reist regelmäßig in die Kakaoanbauländer, um von den Menschen vor Ort zu erfahren, wo der dringendste Handlungsbedarf besteht. Seit 2017 vertritt sie die Zivilgesellschaft in der Multi-Stakeholder-Initiative Forum Nachhaltiger Kakao. www.inkota.de
Hinweis: Dieses Interview ist in der Broschüre “Aktuelle Entwicklungen im Fairen Handel 2024” erschienen, die das FFH im Rahmen ihrer Jahrespressekonferenz im Juli 2024 herausgegeben hat.
Liebe Evelyn, aktuell befinden sich die Kakaopreise auf einem absoluten Rekordhoch. Was sind die Hauptursachen dafür?
In der Tat hat sich der Weltmarktpreis für Kakao seit 2023 fast vervierfacht. Während er Anfang 2023 bei ungefähr 2300 US-Dollar pro Tonne lag, ist er 2024 zeitweise auf 10.000 US-Dollar gestiegen. Aktuell pendelt er auf einem hohen Niveau zwischen 7.000 und 10.000 US-Dollar. Ausschlaggebend für den Preisanstieg in den letzten Monaten waren extreme Ernteeinbrüche in den beiden Hauptanbauländern Côte d'Ivoire (zwischen 20 und 30 %) und Ghana (etwas über 10 %). Über diesen beiden Ländern hat sich – bildlich gesprochen – ein perfekter Sturm zusammengebraut. Zum einen haben sie die Effekte des Wetterphänomens El Niño extrem zu spüren bekommen. Das Mikroklima ist aufgrund der massiven Entwaldung in den letzten 20 Jahren komplett zerstört worden. Der Kakao wird dort in Monokulturen überwiegend ohne Schattenbäume angebaut. Die Plantagen sind dadurch nicht klimaresilient, also zu wenig auf Wetterextreme in Folge der Klimakrise ausgelegt. Zudem ist der Kakao in Monokulturen anfälliger für Pilze und andere Baumkrankheiten, die sich in den letzten Jahren ausgeweitet haben. In einigen Regionen müssen tatsächlich mehrere 100 Hektar Kakaobäume gefällt werden, um eine Ausweitung der Pilze zu verhindern. Die Armut der Menschen hat das Ganze weiter beschleunigt. In den vergangenen Jahren war der Ab-Hof-Preis für Kakao so niedrig, dass die Menschen keine Möglichkeiten hatten in einen klimaresilienten Anbau zu investieren. Die Kakaobäuer*innen haben mir schon vor 10 Jahren gesagt, dass die Klimakrise ihre größte Sorge ist. Es wurde viel darüber gesprochen, dass der Kakao in Agroforstsystemen angebaut werden müsste, um klimaresistenter zu werden. Doch das Geld für die Investition in neue Baumbestände hat schlicht gefehlt. Es gab dafür auch keine Unterstützung von Seiten der Regierungen oder der Schokoladenindustrie. In Ghana sehen wir momentan, dass viele Kakaobäuer*innen ihre Plantagen für illegale Goldminen verkaufen. Auch das ist eine Auswirkung der Armut und trägt zu sinkenden Ernten bei. Die enorme Preissteigerung auf dem Weltmarkt ist durch Spekulationen an den Börsen weiter angeheizt worden. Als bekannt wurde, dass die Kakaoerträge 2024 sinken würden, gab es Fonds, die auf steigende Preise spekuliert haben, was eine Aufwärtsspirale bewirkt hat. Dass jetzt ein Plateau zwischen 7000 und 10.000 US-Dollar erreicht wurde und der Preis nicht weiter steigt, ist der Tatsache geschuldet, dass man – auch an den Börsen – nicht bereit ist, noch mehr zu bezahlen und nicht absehbar ist, wie die Ernte 2025 ausfallen wird.