Das klingt sehr ermutigend! Aber es ist auch zu hören, dass Unternehmen durchaus auch versuchen, ihre Verpflichtungen auf ihre Lieferanten abzuwälzen. Ist das etwas, was Sie bestätigen oder beobachten können in Ihrer Praxis?
Ja, in verschiedenen Märkten können wir solche negativen Effekte beobachten. Das passiert vor allem in Lieferketten, wo die Macht eher bei den Einkäufern als bei den Lieferanten liegt. Einige Unternehmen haben die Anforderungen aus dem LkSG einfach in Verträge übersetzt, die sich so lesen, als ob die Zulieferer direkt an das Gesetz gebunden wären. Das wird dann ohne jegliche Schulung oder Kapazitätsaufbau an die Lieferanten weitergegeben. Leider passiert das häufig nach dem Gießkannenprinzip, also ohne wirkliche Priorisierung der Risiken. Die Lieferanten fragen sich dann, warum sie überhaupt in diesem Risikotopf gelandet sind, wenn die entsprechenden Themen sie gar nicht betreffen. Wenn wir zum Beispiel Schulungen in Asien machen, müssen wir immer wieder erklären, dass die dortigen Lieferanten nicht direkt an das LkSG gebunden sind. Das führt häufig zu Verwunderung. Wir ermutigen die Lieferanten vor Ort in solchen Fällen „Stopp“ zu sagen und auf die eigene Risikoanalyse zu verweisen, ihre Themen anzusprechen, statt nur Vorgaben der Einkäufer zu erfüllen. Wir ermutigen sie auch, darauf hinzuweisen, wenn die Einkaufsbedingungen der beschaffenden Unternehmen Risiken verstärken bzw. negative Auswirkungen auf die Lieferanten haben. Ein Beispiel: Wenn Bestellungen immer wieder kurzfristig geändert werden, erhöht sich das Überstunden-Risiko bei Lieferanten. Wichtig ist, dass Unternehmen Sorgfaltspflichten als ihre eigene Aufgabe wahrnehmen, die sie nicht einfach auf Lieferanten abwälzen können. Auch wenn der Lieferant nicht auf Fragebögen antwortet, kann das Unternehmen eine solide Risikoanalyse erstellen. Dafür muss es sich allerdings gut informieren.
Es ist auch eine Schwäche des Gesetzes, dass es so stark auf die direkten Lieferanten fokussiert. Ich würde sagen, es geht nicht nur darum, aber viele interpretieren das Gesetz so. Das führt zu diesem eingeschränkten Blick, statt wirklich risikobasiert auf die gesamte Lieferkette zu gucken. Das Ziel der Unternehmen muss eigentlich sein, gemeinsam mit Lieferanten auf die Risiken zu schauen, die es in der jeweiligen Lieferkette gibt und anzuerkennen, was schon an Nachhaltigkeitsmanagement etabliert ist. Wenn Lieferanten noch gar nicht in diesem Themenbereich gearbeitet haben, müssen Kapazitäten aufgebaut werden und durch Schulungen unterstützt und begleitet werden.
Das ist sehr spannend! Im Prinzip heißt das, aus Beziehungen zu Lieferanten müssen Handelspartnerschaften werden, die diesen Namen verdienen - so wie im Fairen Handel. Aber schauen wir nun auf die europäische Ebene: Im Mai 2024 wurde ja das EU-Lieferkettengesetz formal beschlossen. Damit steht der Richtlinie nach vielen Hürden und Torpedierungsversuchen nichts mehr im Wege. Erwarten Sie durch das EU-LkSG noch einmal positive Effekte für den Schutz von Menschenrechten und Umwelt durch Unternehmen bzw. was bräuchte es dafür bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht?
Ich glaube, dass das EU-Lieferkettengesetz großes Potenzial hat, den Übergang zu fairen, nachhaltigen Produktionsbedingungen weiter zu unterstützen – nicht zuletzt, weil es einige Schwächen des deutschen LkSG ausgleicht. Zum einen nimmt das europäische Gesetz mehr Menschenrechte und Umweltfaktoren in den Blick. Es schaut auch systematischer auf die Wertschöpfungskette, indem es Risiken auf den tieferen Stufen der Lieferkette stärker einbezieht. Das Stakeholder-Engagement wurde mit dem EU-LkSG systematisch gestärkt. Es gibt klarere Verpflichtungen zu verantwortlichen Einkaufspraktiken und zur Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen in der Lieferkette bei der Umsetzung von Maßnahmen. Insgesamt entspricht es stärker den Vorgaben der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.
Wichtig für die Umsetzung in deutsches Recht ist, dass diese sehr nah am vorliegenden europäischen Kompromiss stattfindet und nicht nachträglich aufgeweicht wird. Es wäre übrigens fatal, wenn das LkSG in Deutschland bis dahin ausgesetzt würde, wie das Wirtschaftsminister Habeck im Juni 2024 überraschend vorschlug. Denn das würde die genannten Errungenschaften der letzten zwei Jahre gefährden. Es würde den Menschen, die in Unternehmen hart daran arbeiten, dass menschenrechtliche Sorgfalt gelebt wird, den Boden unter den Füßen wegziehen. Der Punkt ist: Wenn man diese gesetzlichen Regulierungen risikobasiert und angemessen umsetzt, sind sie kein Bürokratiemonster. Ich kann diese Rhetorik der Wirtschaftsverbände aus der Praxis nicht bestätigen. Vielmehr bin ich fest davon überzeugt, dass Unternehmen von solchen Sorgfaltsprozessen profitieren, weil unternehmerische Risiken abnehmen, wenn man seine Lieferkette gut kennt und partnerschaftlich mit den Lieferanten arbeitet. Zum Beispiel werden in Zukunft weltweit 70 % der Arbeiter*innen von verstärkten Gesundheitsgefährdungen durch den Klimawandel betroffen sein. Wenn ich dieses Risiko anerkenne und in der Lieferkette angehe, macht mich das als Unternehmen resilienter im Umgang mit klimabedingten und menschenrechtlichen Risiken. Dafür braucht es jedoch Transparenz und risikobasierte Maßnahmen. Ich denke Unternehmen sollten das EU-LkSG stärker als Chance begreifen.
Wir danken Ihnen herzlich für das Interview!