Die nachhaltigste Fußball-EM aller Zeiten?

Fussball auf Rasen

Foto: matimix/Canva Pro

Autorin
Katrin Frank

Am 14. Juni beginnt in Deutschland die Fußball-EM. Laut UEFA soll diese "die nachhaltigste EM aller Zeiten" werden. Robert Weber, Gründer der Bad Boyz Ballfabrik, erklärt zum Start der EM im Interview, wie der Fußball in Deutschland wirklich fairer werden könnte.

Lieber Robert, Was bedeutet dir Fußball?

Fußball bedeutet mir sehr viel! Bereits als Dreijähriger habe ich Fußball gespielt, ab dem sechsten Lebensjahr beim 1. FC Nürnberg. Seitdem bin ich auch Fan dieses Vereins. Nach meinem Realschulabschluss mit siebzehn hatte ich bereits das erste Mal beruflich mit Fußball zu tun. Ich habe bei einem Nürnberger Sportartikel-Unternehmen, das Fußbälle noch vor Ort produziert hat, meine Lehre gemacht. Kurzum, ein Großteil meines Lebens – nämlich 63 von bald 66 Jahren – waren vom Fußball bestimmt.

Und gibt es jemanden, die oder den du im Fußball besonders bewunderst?

Ich habe selber in der Position des Torhüters gespielt, weswegen mein persönlicher Held der frühere Nationaltorhüter Harald „Toni“ Schumacher ist. Aufgrund seiner Leistungen war er immer ein sportliches Vorbild für mich. Später habe ich dann in meiner Eigenschaft als Vertriebsleiter von BERG - SPORTGERÄTE einen Fitness-Raum bei ihm zuhause eingerichtet und konnte ihn als Privatperson kennenlernen. Seine extrem professionelle Einstellung hat mich immer sehr beeindruckt!

Aufgrund veralteter Technik und fehlender Sicherheitsvorkehrungen haben die Arbeiter*innen bei der Akkordarbeit an den Stanzen nicht selten Finger verloren. Schwangere Frauen wurden entlassen, die Arbeiter*innen waren nicht versichert.

Robert Weber, Bad Boyz Ballfabrik
Robert Weber, Bad Boyz Ballfabrik

Was hat dich motiviert, die Bad Boyz Ballfabrik zu gründen?

Die Ballfabrik war die letzte Stufe und logische Konsequenz meiner langjährigen Berufserfahrung. Ich habe von 1975 bis 1990 bei der bereits erwähnten Nürnberger Firma BERG - SPORTGERÄTE gearbeitet. Die Firma gibt es inzwischen nicht mehr, aber sie hat als ältester Sportartikelhersteller Europas bis in die 90er Jahre zu großen athletischen Erfolgen beigetragen. Ich war dort als Verkaufs- und Marketingleiter unter anderem für Ledersportartikel zuständig, also hauptsächlich für Bälle und Boxsportartikel wie Handschuhe und Sandsäcke. Meine berufliche Verbindung zum Boxen und Fußball wurde noch enger, als ich 1982 die Aufgabe bekam, die Produktion besagter Lederartikel von Nürnberg nach Pakistan zu verlagern. Seitdem war und bin ich dort aktiv, bis 1990 als Angestellter der Firma BERG und danach für meine eigene Boxartikel-Firma U.N.O Sports. Älteren Fans dürfte sie noch ein Begriff sein. Unter anderem hat der ehemalige Weltmeister Henry Maske mit Handschuhen von uns geboxt. Innerhalb der Familie haben wir 2014 beschlossen, meine über 40 Jahre in Pakistan gesammelten Erfahrungen mit Ledersportartikel zu nutzen, um es deutlich besser zu machen. Auch die vielen negativen Erfahrungen, wie Unternehmen dort mit den Menschen umgehen, spielten dabei eine entscheidende Rolle. Beispielsweise mussten Näher*innen in fensterlosen, engen Räumen arbeiten. Ein Fußball besteht ja aus verschiedenen Teilen, die an entsprechenden Maschinen gestanzt werden müssen. Aufgrund veralteter Technik und fehlender Sicherheitsvorkehrungen haben die Arbeiter*innen bei der Akkordarbeit an den Stanzen nicht selten Finger verloren. Schwangere Frauen wurden entlassen, die Arbeiter*innen waren nicht versichert. Für uns war vollkommen klar: Wenn wir das in unserem Namen machen, dann als faires Familienunternehmen.

Was unterscheidet euch von konventionellen Anbietern?

Was die Fertigungstechnik betrifft, unterscheiden sich unsere fairen Bälle nicht von den Konventionellen. Es gibt für jeden Ballsport Weltverbände wie die International Handball Federation oder die berühmt-berüchtigte FIFA für den Fußball. Die jeweiligen Bälle müssen nach deren Vorgaben gefertigt werden. Auch wie groß oder schwer ein Ball sein muss, ist streng vorgegeben, so dass es kaum Spielraum gibt, anders zu fertigen.

Die Arbeitsbedingungen, Sozialleistungen und die Bezahlung der Arbeiter*innen sind die drei Kernpunkte, die uns deutlich von den konventionellen Anbietern und Marken unterscheiden. Es gibt in der "Welthauptstadt" der Ballproduktion namens Sialkot im Nordosten Pakistans über 720 Betriebe. Davon sind ungefähr 30 bis 40 sehr groß. Das sind die, die unter anderem für die großen bekannten Marken wie Adidas, Puma und Nike arbeiten. Dann gibt es noch fünf Fairtrade-zertifizierte Hersteller, von denen zwei auch für uns arbeiten. Dort sind die Arbeitsplatzbedingungen sehr viel besser als bei den anderen. Dank großer Fenster sind die Räume heller, die Arbeitsplätze sauberer. Zudem verfügen diese Fabriken über Lüftungsanlagen. Das alles schafft angenehmere Arbeitsplätze für die Mitarbeiter*innen. Hier ist der Kontrast, insbesondere im Vergleich zu den kleineren Firmen, sehr groß. Denn dort wird teilweise auf dem Boden gearbeitet, die Stanzmaschinen sind veraltet und entsprechend gefährlich. Bei den Fairtrade-zertifizierten Herstellern sind hingegen sichere Arbeitsmaterialien und Maschinen im Einsatz.  

Außerdem bieten die beiden Fairtrade-zertifizierten Hersteller, mit denen wir arbeiten, ein viel größeres Spektrum an Sozialleistungen an. Die Arbeiter*innen dort sind alle sozial- und krankenversichert. Es gibt Rentensparprogramme, wie wir sie hierzulande kennen und Betriebsrenten sowie Versicherungen zur Absicherung bei Arbeitsunfällen. Das dritte wichtige Unterscheidungsmerkmal ist die Bezahlung. Hier geht es um die die Zahlung von existenzsichernden Einkommen (Living Wages). 

Was das Label „nachhaltigste Männer-Fußball-EM aller Zeiten“ betrifft, würde ich sagen: Das ist nicht so schwer, denn das Thema "Nachhaltigkeit" hatte bei der FIFA bzw. UEFA bisher keinen hohen Stellenwert.

Robert Weber, Bad Boyz Ballfabrik
Robert Weber, Bad Boyz Ballfabrik

Laut UEFA soll 2024 die nachhaltigste Männer-Fußball-Europameisterschaft aller Zeiten in Deutschland stattfinden. Auch adidas als Hauptsponsor sollte sich hier seiner Verantwortung bewusst sein. Was ist deine Botschaft bzw. Erwartung an den Sportgiganten Adidas?

Was das Label "nachhaltigste Männer-Fußball-EM aller Zeiten" betrifft, würde ich zunächst sagen: Das ist nicht so schwer, denn das Thema "Nachhaltigkeit" hatte bei der FIFA bzw. UEFA bisher keinen hohen Stellenwert. Ich denke, dass die Ausrichterstädte der EM in punkto Nachhaltigkeit noch viel mehr leisten könnten, als effektiv vorgesehen ist. Doch vieles hängt von den strengen Vorgaben der Fußballverbände ab, die nicht transparent sind. Generell haben Unternehmen wie die UEFA oder die deutsche Vertretung im Organisationskomitee, der deutsche Fußballbund (DFB), in punkto Nachhaltigkeit noch Einiges zu tun. Sie wissen natürlich auch, wie wichtig das Thema in der Außendarstellung ist. Ich glaube aber, dass hier entsprechende Hochglanzbroschüren mit tollen Formulierungen von gewieften Marketingleuten mehr im Mittelpunkt stehen als die tatsächliche Arbeit an einer nachhaltigen Organisation oder Unternehmen.

Mein Botschaft an Adidas ist: Ich stehe Björn Gulden gerne zur Verfügung, um darüber zu sprechen, wie man qualitativ hochwertige und ansprechend designte Bälle ohne Ausbeutung der Arbeiter*innen herstellen kann.

Robert Weber, Bad Boyz Ballfabrik
Robert Weber, Bad Boyz Ballfabrik

Ein konkretes Beispiel dafür ist Adidas als Hauptsponsor der EM. Das Bündnis Sport handelt fair hat Bjørn Gulden und Jürgen Rank Anfang des Jahres angeschrieben und dazu befragt, ob und wie Adidas gedenkt, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in seinen Lieferketten einzuhalten. In dem Zusammenhang wurde Adidas auch aufgefordert, die Ausstattung, die das Unternehmen für die EM produziert (von Schuhen über Bälle bis zu Trikots und der Kleidung für Volunteers) unter fairen Bedingungen herzustellen. Das Forum Fairer Handel hat diesen offenen Brief an Adidas übrigens auch unterzeichnet. Die Antwort von Adidas ist wortreich, enthält jedoch wenig Substanz. Auf die Nachfrage zum Umgang mit Missständen in Bezug auf Arbeiter*innenrechte in den Lieferketten verweist Adidas unter anderem auf die gute Platzierung im Ranking von Know the Chain*. 3. Platz von 65 klingt zwar ganz gut, sie haben damit allerdings auch nur 55 von 100 möglichen Punkten geholt. Beim Punkt Einkaufspraktiken haben sie zum Beispiel nur 17 Punkte erhalten und im begleitenden Bericht wird angemerkt, dass das Unternehmen seit 2021 keine Schritte unternommen habe, um gegen Zwangsarbeit in seinen Lieferketten aktiv zu werden oder diesbezüglich Transparenz herzustellen und sich daher im Ranking verschlechtert habe. Das deutet nicht nur für mich darauf hin, dass die Umsetzung von Arbeiter*innenrechten in den Lieferketten bei Adidas keine hohe Priorität hat.

Mein Botschaft an Adidas ist: Ich stehe Björn Gulden gerne zur Verfügung, um darüber zu sprechen, wie man qualitativ hochwertige und ansprechend designte Bälle ohne Ausbeutung der Arbeiter*innen herstellen kann.

Freust du dich auf die EM? Und was plant ihr zu diesem Ereignis an Aktivitäten?

Ja, denn ich bin Fußballfan mit Haut und Haaren. Deswegen freue ich mich generell über ein Fußballfest. Allerdings mit der Einschränkung, dass mir zur Bezahlung und den Ablösesummen für  Profifußballer nur ein Wort einfällt – nämlich „pervers“. Da geht es ja um Summen und Praktiken, die für normale Fans nicht nachvollziehbar sind. Für mich wirft das einen Schatten auf den Profifußball als solchen und in dem Sinne auch auf so eine Veranstaltung.

Aber weil eine Europameisterschaft im eigenen Land nicht so häufig vorkommt, haben wir für uns mit unserer Hauptzielgruppe, den Weltläden, tatsächlich eine Aktion zur EM auf die Beine gestellt. Wir haben zur EM eine kleine Kollektion von vier Bällen mit einem besonders farbenfrohen Design rausgebracht, die seit Anfang Mai in den Weltläden verfügbar sind. Diese Aktion wird auch vom Weltladen-Dachverband mit Infomaterialien und Kommunikation in den Sozialen Medien unterstützt. Die Aktion läuft sehr erfolgreich, was uns natürlich freut! Thematisch geht es darum, unsere wahren Fußballheld*innen ins Rampenlicht zu rücken. Gemeint sind nicht die Profifußballer, die auf weichem Rasen im gleißenden Scheinwerferlicht spielen, sondern die Jungs und Mädchen, die weltweit an Stränden, auf Straßen, in Slums und den Hinterhöfen der Großstädte unter schwersten Bedingungen, aber mit ungebremster Leidenschaft, spielen. Sie sind unsere Inspiration!

*KnowTheChain ist eine Organisation, die darüber berichtet, wie große Unternehmen weltweit die Rechte von Arbeitnehmer*innen schützen. Dies geschieht anhand von sogenannten "Benchmarks" (also Werte für die Erfüllung von Kriterien), aus denen sich Rankings ergeben. Dadurch möchte KnowTheChain Anreize für Unternehmen schaffen, die Probleme anzugehen, und Lücken aufzeigen. Die Benchmark-Berichte machen zudem transparent, wie Hunderte von Unternehmen im Laufe der Zeit abgeschnitten haben. Weitere Informationen 

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