Den Fairen Handel neu erzählen

Foto: Weltladen-Dachverband/F. Sprey

Als Geschäftsführerin des Weltladen-Dachverbands verknüpft Gifty Rosetta Amo Antwi ihre akademische Ausbildung in Ethnologie, Soziologie und Politik mit ihrer beruflichen Laufbahn. In ihrer langjährigen Rolle als Bildungsreferentin und Geschäftsführerin im Weltladen Mainz setzte sie sich mit Leidenschaft für den Fairen Handel ein. Ihr Interesse an globalen und sozialen Themen spiegelt sich auch in ihrer aktiven Antirassismusarbeit wider.

Hinweis: Dieses Interview ist in der Broschüre “Aktuelle Entwicklungen im Fairen Handel 2024” erschienen, die das FFH im Rahmen ihrer Jahrespressekonferenz im Juli 2024 herausgegeben hat.

Gifty, du hast Anfang des Jahres die Geschäftsführung des Weltladen-Dachverbands übernommen. Da du vorher einen Weltladen geleitet hast, kennst du das Potenzial aber auch die Herausforderungen der Bewegung aus eigener Erfahrung. Was begeistert dich an den Weltläden und was möchtest du verändern?

Ich finde die Grundidee des Fairen Handels und der Weltläden nach wie vor bestechend und aktuell. Es ist wichtiger denn je, Menschen zu erklären, wie unsere vom Kapitalismus geprägte Wirtschaft große Probleme für Menschen in aller Welt erzeugt. Der Faire Handel ist relevanter denn je, er ist nur nicht mehr sexy. Unsere Aufgabe ist es, den Fairen Handel neu zu erzählen und diese Herausforderung finde ich faszinierend. Was mich ebenfalls an Weltläden begeistert, ist das große – zum Teil jahrzehntelange – Engagement der Aktiven und das Potenzial, was sich daraus für die Gesellschaft ergibt. Außerdem sind Weltläden ein kostbarer sozialer Raum für ganz viele Menschen, die sich dort menschlich und politisch gesehen fühlen. Leider kennen viele Leute Weltläden nicht oder wissen nicht genau, was sie tun. Wir müssen also besser vermitteln, warum es Weltläden gibt und was sie ausmacht. Wir sollten offensiver in die Gesellschaft tragen, dass es Menschen gibt, die sich mit den Missständen beschäftigen und zeigen, wie es anders geht. Das ist aus meiner Sicht ganz wichtig.

Was mich an Weltläden begeistert, ist das große – zum Teil jahrzehntelange – Engagement der Aktiven und das Potenzial, was sich daraus für die Gesellschaft ergibt. Außerdem sind Weltläden ein kostbarer sozialer Raum für ganz viele Menschen, die sich dort menschlich und politisch gesehen fühlen.

Gifty Rosetta Amo Antwi, Geschäftsführerin des Weltladen-Dachverband

Du hast es schon erwähnt, die Idee der Weltläden ist so aktuell wie nie. Dennoch fällt es vielen schwer, neue Kund*innen zu gewinnen. Was braucht es dazu? 

Zunächst ist es wichtig festzustellen, dass die Weltladen-Bewegung in die Jahre gekommen ist. Viele, die Weltläden mitbegründet haben und aktiv waren, können sich altersbedingt nicht mehr beteiligen. Kürzlich habe ich in Hildesheim mit einem der Mitbegründer der Grünen und des Weltladen-Dachverbands gesprochen. Sein enormes Engagement als junger Mann erinnerte mich an die jungen Menschen, die heute bei Fridays for Future aktiv sind. In 40 Jahren wird diese junge Bewegung ähnliche Herausforderungen haben wie wir heute. Unsere Aufgabe ist es, die Grundidee der Bewegung ohne deren Begründer*innen weiter zu transportieren. Das ist nicht einfach, denn solange sie in ihrem Umfeld unermüdlich für den Fairen Handel geworben haben, gab es einen stetigen Aufschwung. Dieser Anfangsschwung ist vorbei. Deswegen müssen wir die Bewegung zunächst von innen stärken, den Generationenwechsel und die damit verbundene Neuerzählung von Weltläden schaffen, um daraus gefestigt und mit klaren Positionen hervorzugehen. Erst dann werden wir wieder mehr Menschen außerhalb der Bewegung erreichen und neue gesellschaftliche Relevanz erlangen. Ich bin da sehr zuversichtlich, denn viele junge Leute finden es schon spannend, in Weltläden einkaufen zu gehen. Dafür ist jedoch auch wichtig, dass sich Weltläden modernisieren. 

Du hast kürzlich in einem Interview gesagt, dass die Weltläden auch von innen diverser werden müssen, um neue Zielgruppe zu erreichen. Kannst du das näher erläutern? 

Ja, bis heute sind die Weltläden eher ein weißer, akademisch und teils christlich geprägter Raum. Angesichts der Tatsache, dass jede vierte Person in Deutschland eine Migrationsbiografie hat, ist das problematisch. In Weltläden arbeiten zudem vor allem eher studierte Menschen, die sich aus finanziellen Gründen eher erlauben können, ehrenamtlich tätig zu sein. Das schränkt uns auch ein bisschen ein. Wir müssen uns also kritisch fragen: Sind wir offen genug für andere Menschen und fühlen sie sich bei uns willkommen? Wie sind unsere Strukturen? Wie kolonial ist der Faire Handel? Ich habe da keine fertigen Lösungen, aber wir müssen uns auf jeden Fall verändern. Denn wenn wir mehr Menschen ansprechen wollen, müssen sie sich auch von uns repräsentiert fühlen. 

Wie wichtig ist dir in diesem Zusammenhang die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Ansatz, wie zum Beispiel mit kolonialen Kontinuitäten im Fairen Handel?

Ich finde die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte total wichtig. Wir müssen uns kritisch mit der Tatsache beschäftigen, dass auch im Fairen Handel häufig Rohstoffe aus dem Globalen Süden importiert und hier weiter verarbeitet und verkauft werden. Auch der Kritik, dass der Faire Handel Teil des kapitalistischen Systems ist, müssen wir uns stellen. Aber solange es kein besseres Modell gibt, sollten wir weiter machen, wovon wir überzeugt sind. 

Wir sehen aktuell, dass sich das politische Klima in Deutschland und der EU bedrohlich verändert und die Demokratie in Gefahr ist. Was können bzw. müssen wir dem als Fair-Handels-Bewegung entgegensetzen? 

Ich glaube, wir müssen uns als Fair-Handels-Bewegung stärker positionieren, auch wenn das zu Gegenwind führt. Wir sind viele, aber wir müssen sichtbarer und vor allem lauter werden. Wir stehen für eine demokratische und offene Gesellschaft, ohne Hass und ohne Diskriminierung. Auch um gemeinsam für globale Gerechtigkeit und gegen die katastrophalen Auswirkungen der Klimakrise zu arbeiten, brauchen wir eine stabile Demokratie.

Der Einsatz für Gerechtigkeit und Toleranz braucht einen langen Atem. Woraus schöpfst du persönlich Kraft bzw. die Hoffnung, die es dafür braucht?

Ich kann ganz viel Positives aus dem Alltag ziehen. In beobachte zum Beispiel, dass unsere Gesellschaft im Kleinen häufig gut funktioniert. Die meisten Menschen kommen trotz aller Unterschiede miteinander klar. Insbesondere Kinder zeigen uns täglich, wie man nach Konflikten im Gespräch bleibt und sich wieder aufrappelt. Sie sind gedanklich so viel flexibler als Erwachsene. Daran sollten wir uns häufiger orientieren. Ich bin hoffnungsvoll, solange es Kinder gibt. 

Liebe Gifty, herzlichen Dank für das Interview! 

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