„Damals wie heute geht es uns um Gerechtigkeit“

Interview mit Andrea Fütterer, FFH-Vorstandsvorsitzende und Leiterin der Abteilung Grundsatz und Politik bei unserer Mitgliedsorganisation GEPA – The Fair Trade Company anlässlich des 50. Jubiläums der GEPA

FFH: Seit 50 Jahren setzt sich die GEPA für mehr Gerechtigkeit und nachhaltige Chancen für ihre Handelspartner im Globalen Süden ein. Zunächst möchten wir dir und deinen Kolleg*innen zu diesem Jubiläum ganz herzlich gratulieren! Du bist ja auch länger dabei und eng verbunden mit vielen Menschen, mit denen die GEPA zusammenarbeitet. Was hat das heutige Fair-Handels-Unternehmen GEPA – The Fair Trade Company aus deiner Sicht gemeinsam mit der 1975 gegründeten Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt und was ist der größte Unterschied? 

Andre Fütterer: Tatsächlich bin ich bereits seit 23 von den 50 Jahren bei der GEPA. Es gibt aber noch einige Kolleg*innen, die viel länger dabei sind, was ja auch ein gutes Zeichen ist. Aber nun zur eigentlichen Frage: Was haben die GEPA von vor 50 Jahren und die heutige gemeinsam? Vor allen Dingen natürlich die Ziele: Es ging uns damals wie heute um Gerechtigkeit, und zwar in Bezug auf faire Arbeits- und Handelsbedingungen und die strukturellen Veränderungen, die dafür nötig sind. Noch einfacher formuliert ist unsere Vision ein Leben in Würde für alle Menschen auf der Welt. Diese Zielsetzung ist auch in unserem lange bestehenden und weiterhin gültigen Gesellschaftsvertrag abgebildet, der die  drei Säulen des Fairen Handels abbildet –  also Handel mit fairen Produkten zu realisieren und durch Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit sowie politischen Kampagnen und Lobbyarbeit zu flankieren. 

Ich würde gar nicht so sehr sagen, dass es markante Unterschiede zwischen der GEPA von heute und damals gibt, aber wir mussten uns immer neuen Herausforderungen stellen und haben uns unglaublich weiterentwickelt. Am Anfang war der Faire Handel ja als politisches Bildungsprojekt gedacht. Es wurden Waren wie Kaffee zur Veranschaulichung der Probleme im Welthandel genutzt und das hat sich dann weiterentwickelt, nicht zuletzt, weil die Handelspartner natürlich wollten, dass ihre Produkte verkauft werden. Lange haben wir alle in der Fair-Handels-Bewegung geglaubt, dass wir den notwendigen Wandel schaffen, wenn nur genügend Menschen faire Produkte kaufen. Dieser Ansatz war unter dem Slogan „Fairer Handel ist Politik mit dem Einkaufskorb“ bekannt. Und dann kam die Erkenntnis, dass wir es so nicht schaffen werden. Für mich ist der große und ganz wichtige Unterschied, dass wir seit einigen Jahren viel stärker auf politische Arbeit und Lobbying setzen. So ist auch das Forum Fairer Handel als politische Stimme des Fairen Handels entstanden. 

Generell hat eine Professionalisierung auf allen Ebenen stattgefunden. Unsere Produkte haben sich qualitativ immer weiter entwickelt und werden heute vielfach ausgezeichnet. Heute sind wir und unsere Handelspartner in jeder Beziehung viel professioneller. Kurz gesagt, wir sind politisch gestartet und sind jetzt wieder nach einer Kurve an diesem Punkt angekommen, wo wir sehr viel in die politische Arbeit investieren, aber gleichzeitig einen starken Fokus auf die Produktentwicklung, ein erfolgreiches Marketing, sowie den Vertrieb und Verkauf unserer Produkte haben.

FFH: Was ist für dich der bisher größte Erfolg der GEPA und wo hättest du dir mehr positive Veränderung gewünscht? 

Andrea Fütterer: Der größte Erfolg der GEPA aus meiner Sicht ist, dass wir den Fairen Handel zusammen mit vielen Akteuren aus der Bewegung tatsächlich etablieren konnten. Wir haben aus einer Idee, die von vielen als Spinnerei empfunden wurde, eine Alternative auf dem Markt geschaffen, die nicht mehr wegzudenken ist. Wir haben als GEPA einen großen Anteil daran, dass sich der Faire Handel in Deutschland etabliert hat. Damit geht einher, dass wir seit 50 Jahren ganz konkret zeigen: Fairer Handel funktioniert und ist erfolgreich. Das zeigen wir als faires Unternehmen, das von seiner Wirtschaftstätigkeit lebt – dem unfairen Marktumfeld zum Trotz. Dabei sind wir weiter gewachsen und konnten mit neuen Handelspartnern zusammenarbeiten. Stolz sind wir natürlich auch auf verschiedene Pionierleistungen, die wir im Laufe der Jahre geschafft haben, wie die logische Kombination aus bio und fair bei Lebensmitteln, die heute eine Selbstverständlichkeit ist. Diese Diskussion ist ja vor vielen Jahren auf einer IFOAM-Konferenz von der GEPA gestartet worden. Aus der Theorie, dass Fairer Handel und ein ökologischer Anbau im Sinne der Nachhaltigkeit zusammengehören, sind verschiedene Projekte mit Naturland entstanden wie der erste Bio-Tee und -Kaffee sowie die erste Bio-Schokolade. 

Ein weiterer Aspekt, den ich hervorheben möchte, ist, dass wir Mitbegründer der wichtigen Fair Handels-Netzwerke gewesen sind, also der EFTA, der WFTO, und auch vom Forum Fairer Handel. Und das ist immer auf das Engagement von Gerd Nickoleit zurückzuführen, der stets betont hat, dass wir als Einzelkämpfer nicht genug bewirken können und uns als Bewegung vernetzen müssen. 

Ein weiteres Herzensthema, das wir als GEPA besonders intensiv bearbeiten, ist Klimagerechtigkeit. Das ist für uns ein Schwerpunkt, weil wir wissen, wie sehr unsere Handelspartner bereits jetzt unter den Folgen zu leiden haben und dass unser aller Zukunft davon abhängt. 

Und was mich immer wieder beeindruckt, sind die Veränderungen, die ich bei unseren Handelspartnern sehe. Einige kenne ich durch meine frühere Arbeit als Beraterin für den Deutschen Entwicklungsdienst schon seit fast 30 Jahren. Entsprechend konnte ich mir ein langfristiges Bild davon machen, wie sich die Organisationen auch professionalisiert haben, wie sich unter dem Stichwort „Empowerment“ besonders Frauen in Kooperativen eine Rolle erkämpft haben, die vorher keine Teilhabe, kein Mitsprachrecht hatten. Auch reine Frauenorganisationen sind über die Zusammenarbeit mit der GEPA stark geworden, weil sie u.a. einen Marktzugang bekommen haben. Ich denke da zum Beispiel an La Sureñita und APROLMA in Honduras.

FFH: Ich danke dir, liebe Andrea! Kommen wir zu den Themen, wo du dir nach 50 Jahren mehr Erfolg bzw. Wirkung gewünscht hättest. Was fällt dir dazu ein? 

Andrea Fütterer: Ich wünsche mir vor allem, dass wir in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen und das an konkreten Zahlen bemessen können. Dass der Marktanteil von fairem Kaffee in Deutschland nach 50 Jahren nur 6 Prozent erreicht hat und aktuell sogar auf 5,5 % gesunken ist, schmerzt mir persönlich sehr! An der Stelle müssen wir uns eingestehen, dass es uns nicht gelungen ist, den Mainstream vom Fairen Handel zu überzeugen. 

Und wenn ich jetzt noch einen Wunsch frei habe, dann bezieht der sich auf die neue Bundesregierung. Der Kanzler-Wahl-Krimi hat gezeigt, dass wir eine fragile neue Bundesregierung haben. Ich wünsche mir, dass diese neue Bundesregierung die „Zeichen“ versteht und alles daransetzt, in demokratische Strukturen zu agieren und bei allen Vorhaben die Menschenrechte unverbrüchlich zugrunde legt. 

FFH: Aktuell stehen jedoch die Zeichen in Deutschland und der EU auf Rückschritte bei wichtigen Nachhaltigkeitsregulierungen wie dem Lieferkettengesetz. Was bedeutet dieser politische Roll-Back für das größte Fair-Handels-Unternehmen in Deutschland und Europa bzw. welche Rolle kommt ihm dadurch zu?

Andrea Fütterer: Die aktuelle politische Situation erinnert mich an diese eine Ereigniskarte beim Gesellschaftsspiel Monopoly: „Gehen Sie zurück auf Los, ohne die 4000 DM zu kassieren“. Was die genannten Rückschläge bei für uns entscheidenden Gesetzgebungsprozessen angeht, kann ich nur feststellen: Ich und sicherlich wir alle sind wahnsinnig enttäuscht und auch frustriert, aber Aufgeben ist absolut keine Option. Und deswegen heißt es für uns als GEPA, in den Netzwerken, in denen wir aktiv sind, mit aller Kraft weiterzumachen. Der politische Rollback in Bezug auf den Schutz von Menschenrechten in internationalen Lieferketten ist für uns nicht akzeptabel, bzw. berührt den Kern dessen, wofür die GEPA steht. Wir haben früher immer gesagt, dass wir uns eigentlich überflüssig machen wollen und manche dachten, es wäre vielleicht bald soweit. Jetzt wissen wir, dass wir noch lange weiterkämpfen müssen. Aber durch die politische Arbeit der letzten Jahre und durch die Erfahrungen, die wir dabei gewonnen haben, sehe ich uns besser aufgestellt für die „nächste Runde“. Und es gibt jetzt das Forum Fairer Handel und die spezialisierten Bündnisse wie die Initiative Lieferkettengesetz, in denen wir uns gemeinsam einsetzen können. Aufgrund der aktuellen politischen Konstellation und der erstarkten AfD, welche die demokratischen Parteien vor sich hertreibt und Grenzen verschiebt, wird es nicht leichter. Aber auch hier sehe ich eine wichtige Rolle für die GEPA und für alle, die gewillt sind, rechte Diskurse aufzugreifen und aktiv dagegen zu halten.

FFH: Noch eine persönliche Frage: Was treibt dich nach so vielen Jahren bei der GEPA persönlich an und gibt dir Kraft? 

Andrea Fütterer: Also meine schon immer riesige Motivation, die auch nicht nachlässt, ist das Thema Gerechtigkeit oder vielmehr die Ungerechtigkeit. Dabei zehre ich noch immer von den neun Jahren, die ich in als Fachkraft für den Deutschen Entwicklungsdienst in Mittelamerika gearbeitet habe. Ich habe die dortigen Realitäten und insbesondere den Überlebenskampf der Menschen gesehen. Ich habe erlebt, wie Produzent*innen ausgebeutet wurden, keinen Zugang zu Bildung, Fortbildungen und dem Gesundheitswesen hatten, wie sehr um eine bessere Zukunft für die Kinder gekämpft wird. Dadurch ist für mich ganz klar, wie wichtig der Faire Handel mit seinen vielfältigen Ansatzpunkten als Alternative ist. 

Und was mich natürlich auch jeden Tag motiviert, ist die Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen. Es kommt schon mal vor, dass ich morgens nicht so gut gelaunt bei der GEPA ankomme. Aber bis ich in meinem Büro angekommen bin, habe ich schon ein oder zwei nette Kolleg*innen getroffen und bin wieder gut drauf. Das ist schon sehr motivierend! Darüber hinaus beflügelt mich die Zusammenarbeit mit den super Kolleg*innen in den Netzwerken, vorneweg natürlich mit Euch beim Forum Fairer Handel, aber auch innerhalb der EFTA und der WTO. Mir geben diese internationalen Zusammenhänge auch ein Gefühl der Stärke. Es tut gut zu wissen, dass wir Teil einer internationalen Bewegung sind. Überall auf der Welt gibt es Menschen, die am selben Strang ziehen, die natürlich auch mal streiten, aber letztlich für das gleiche Ziel eintreten. 

Und ein weiterer Punkt wird sehr schön durch unsere neuen Markenkampagne ausgedrückt, deren Slogan lautet: „Du hast es in der Hand“. Für mich ist ganz entscheidend zu sagen: Jeder kleine Schritt zählt – vom Kauf eines fairen Schokoriegels, über den Impuls, sich über Fairen Handel zu informieren oder eine Veranstaltung im Rahmen der Fairen Woche zu besuchen, eine Petition zu starten oder an einer Demo für (Klima)Gerechtigkeit teilzunehmen. Diese Botschaft weiter zu tragen, ist für mich eine starke Motivation!

 

Liebe Andrea, danke dir für das schöne Interview! Auch wir ziehen Motivation aus der tollen Zusammenarbeit mit dir und deinen Kolleg*innen. 

Cookies & Drittinhalte

Tracking (Matomo)
Google Maps
Videos (YouTube und Vimeo)

Detaillierte Informationen zu den einzelnen Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung

Speichern Alle akzeptieren